Mann mit Anhang
Katzenstegen
ertappt haben, wirst du wohl mit uns nach Hause zurückkehren, Papa?«
Gutting warf einen raschen
Blick auf Jeannette. Er sagte: »Ich muß dich enttäuschen. Ich habe mich bei
Bernhard Lardos in St. Tropez angesagt.«
Nico, der Goggis
leidenschaftliche Ausbrüche kannte, wenn ihr etwas gegen den Strich ging,
mischte sich ins Gespräch. »Fährst du da in einem Rutsch durch?« erkundigte er
sich, »über Genf?«
»Ja, über Genf. Aber nicht in
einem Rutsch. Ich fahre gemütlich, ich habe ja Zeit.«
Jeannette zerkrümelte ein Stück
Semmel. »Schade, ich hätte diese Fahrt gern mitgemacht.«
»Tue es doch.«
Sie sah Ronald an. Das Funkeln
in ihren Augen verstärkte sich. »Ich fliege nach Paris.«
»Wann?«
»In zwei Stunden, um 16.15 Uhr.
Zu meiner Tochter.«
Das Lächeln, das sie ihm
schenkte, war aus Bedauern und einer leisen Schadenfreude zusammengesetzt. »Wir
müßten wirklich mal eine hübsche Reise zusammen machen, wir hatten es uns schon
vor mehr als zwanzig Jahren einmal vorgenommen.«
»Mußt du unbedingt zu deiner
Tochter?«
»Ich muß.« Sie hob ihr Glas.
»Ein andermal, vielleicht in zwanzig Jahren.«
Goggi spürte, daß hier ein
Kampf ausgefochten wurde, der offenbar schon seit ewigen Zeiten schwelte. Sie
war fasziniert. Es erinnerte sie an ihre eigenen hitzigen Gefechte mit Nico. So
ironisch und liebenswürdig bissig stritt man nur, wenn man sich liebte.
Liebte Papa? Der Gedanke, daß
er eine fremde Frau neben ihr und Jacky lieben könnte, schien ihr absurd. Und
doch war es wohl so. Sie lehnte sich dagegen auf und war nahe daran, Jeannette
wieder für eine widerwärtige Person zu halten, als das Gespräch plötzlich zu
anderen, weniger heiklen Themen überschwenkte. Jeannette erzählte von ihrem
Leben in Rio und verstand es, durch ihre schonungslose Selbstironie zu fesseln.
An der Seite ihres offenbar märchenhaft reichen Gatten schien dieses Leben aus
einer mehr oder weniger kunstvollen Art zu bestehen, möglichst viel Geld
auszugeben, möglichst viel Zeit zu vergeuden und sich mit möglichst vielen
Schmarotzern zu umgeben. Parties, Theater- und Filmpremieren, Gesellschaftsklatsch,
eingebildete und echte Krankheiten, Polo, kleine Intrigen und eine große,
gähnende Langeweile bestimmten den Tagesrhythmus Henry Bonnards und seiner
Kreise.
»Das ist die große Welt.
Dagegen sind wir in München doch ganz klein«, warf Goggi dazwischen.
Jeannette zuckte die Schultern.
»Ich finde München im Vergleich zu früher sehr verändert«, sagte sie, »es hat
mehr Schmiß bekommen. Es ist aber auch nervöser geworden. Früher konnte man
hier so herrlich vor sich hindösen und vom Glück träumen. Weißt du’s noch,
Roni?«
Ronald nickte. Er wußte es noch
sehr genau. »Ich glaube, man kann es auch heute noch.«
»Tust du es?«
Goggi nahm ihm die Antwort ab.
»Papa und dösen? Nie! Er vierteilt sich doch vor lauter Betriebsamkeit.«
Plötzlich konnte sie nicht
anders, sie mußte den Giftpfeil, den sie nun schon lange zurückhielt,
abschießen. »Er sollte sich viel mehr Ruhe gönnen, er ist doch nun schon bald
ein alter Herr.«
Ronald und Jeannette lachten zu
gleicher Zeit. Sie hatten Goggis Taktik durchschaut. Jeder von ihnen besaß eine
Tochter. Sie kannten ihre Pappenheimer.
»Jawohl, bald werde ich im
Lehnstuhl sitzen, mein Pfeifchen schmauchen und in aller Gemütsruhe
vertrotteln«, sagte Ronald ohne jede Schärfe. »Wir Alten können einpacken,
nicht wahr, Jeannette?«
Jeannettes Gesicht belebte
sich. »Ich denke nicht daran, Ronald Gutting, ich protestiere ausdrücklich«,
rief sie. »Ich gebe das Rennen noch lange nicht auf.« Sie holte eine Zigarette
aus der Packung, und Nico reichte ihr Feuer.
Ronald sah sie bewundernd an.
»Du gibst nicht auf? Bis zur letzten Runde?«
»Bis zur letzten Runde,
jawohl.«
»Und dann als wievielte durchs
Ziel?«
»Vielleicht als erste,
vielleicht als letzte. Jedenfalls möchte ich bis zum Ziel kommen, um zu sehen,
wie gut oder wie schlecht ich im Rennen lag.«
Ronald warf einen raschen Blick
auf die Uhr. Noch eine Stunde und achtundvierzig Minuten, dachte er. Dann
fliegt Jeannette weg. Zu ihrer Tochter. Zu ihrem eigentlichen Leben, zu dem
Leben mit ihrem reichen, alten Mann, zu Henry Bonnard. Und ich fahre mit Jacky
nach Genf. Jacky wird begeistert sein über die lange Autofahrt, ich werde
Kopfschmerzen und brennende Augen bekommen. In Winterthur werde ich das Öl
wechseln müssen, ich darf es nicht vergessen.
Es regnete immer noch,
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