Mann mit Anhang
streckte ihm beide
Hände entgegen, und Nico küßte zuerst die rechte, dann die linke, um keine
ihrer hübschen Hände zu übergehen. »Ich freue mich sehr, daß wir kommen
durften.«
Jeannettes Haar war
tiefschwarz, von mattem Glanz, volles, starkes und sehr gesundes Haar. Goggi
kam nach kurzer Überlegung zu dem Schluß, daß Jeannette ihr Haar noch nicht
färbte. Sie äugte zu der freundlichen alten Dame mit den rosa Bäckchen hinüber
und spürte plötzlich einen Groll gegen Jeannette, weil sie so gar nichts von
einer älteren Dame an sich hatte.
»Sie schauen mich so kritisch
an, Goggi. Gefalle ich Ihnen nicht?« fragte Jeannette lächelnd.
Goggi errötete. Aber sie wich
Jeannettes belustigtem Blick nicht aus. »Ich habe Sie mir anders vorgestellt.«
»So? Wie denn?«
»Älter.«
Jeannette verzog den Mund. »Na,
ich danke, mir genügen meine Jahre. Aber ich will nicht senil werden. Noch
nicht«, fügte sie bedeutungsvoll hinzu. »Ich habe noch einige Dinge vor, die
sich bei einer alten Frau lächerlich ausnehmen würden.«
Nico half Goggi aus dem
schwarzen Kapuzenmantel und brachte ihn zur Garderobe. Diesen Augenblick
benützte Jeannette, um Goggis Arm zu nehmen. »Was hat Ronald — —was hat Ihr
Vater Ihnen von mir erzählt? Hat er Ihnen weisgemacht, ich sei ein
verhutzeltes, altes Weiblein?«
Goggi fühlte sich unbehaglich.
Sie wollte auf ihrer Hut bleiben. Jeden Augenblick konnte Papa auftauchen und
sagen: meine lieben Kinder, ich wollte vor eurer Hochzeit keinen Wirbel machen,
aber nun will ich euch doch meine liebe, reizende Freundin Jeannette
vorstellen, die ich zu heiraten beabsichtige.
Goggi fühlte Jeannettes Augen
forschend auf sich gerichtet und hatte Mühe, sich auf ihre letzte Frage zu
konzentrieren. »Was Papa mir von Ihnen erzählt hat? Eigentlich nie etwas
Bestimmtes. Er hat sich darauf beschränkt, von Zeit zu Zeit zu sagen: Jeannette
hat wieder geschrieben, du weißt doch, Mrs. Bonnard, meine alte
Jugendfreundin.«
»Ich bin sehr enttäuscht, daß
er vor mir ausgerissen ist.«
»Wer? Papa?«
Goggi dämmerte es, daß
Jeannette tatsächlich nichts von Papas Anwesenheit in diesem Hotel wußte.
Vielleicht hatte er in irgendeinem Konferenzzimmer wieder irgendeine Sitzung
mit faden Geschäftsfreunden.
Jeannettes Augen hatten einen
seltsamen Glanz bekommen. Es war ein Funkeln zwischen Zorn und Spott. »Er wußte
doch ganz genau, daß ich nach München komme, er hätte seine Reise sicher um
vierundzwanzig Standen verschieben können.«
»Papa hat manchmal sehr
komische Einfälle«, meinte Goggi ausweichend. »Man muß bei ihm immer auf
Überraschungen gefaßt sein.«
Jeannettes Mund wurde hart.
»Ich weiß, ich habe auch schon mal eine solche Überraschung hinnehmen müssen,
eine recht große sogar.«
In diesem Augenblick kam Nico
von der Garderobe zurück. Jeannette schlug einen sorglosen Ton an. »Wollen wir
essen gehen? Sie sind doch beide sicher schrecklich hungrig.« Neben Nico wirkte
sie noch kleiner. Sie mußte zu ihm emporblicken, wenn sie mit ihm sprach.
Sie hatte im großen Speisesaal
einen Ecktisch bestellt. Der Tisch war für drei Personen gedeckt. Goggi blieb
stehen. Sie sagte: »Eigentlich wäre es umgekehrt richtiger gewesen. Sie hätten
als unser Gast zu uns kommen müssen.«
»Vielleicht an einem der
nächsten Tage. Ich warte auf ein Telefongespräch mit meiner Tochter in Paris.
Wenn ich mit Sheila gesprochen habe, kann ich über meine Zeit verfügen.«
»Oh, Ihre Tochter ist in
Paris?«
»Meine Tochter ist überall.
Leider. Heute in Paris, morgen in Rom oder New York oder Lissabon. Sie klappert
die ganze Erde ab, sie hat nirgends Ruhe. Ein bißchen jünger als Sie, Goggi.«
In ihrer Stimme schwang Kummer.
Goggi blickte auf den schönen,
betrübt gewölbten Mund. Sie sagte: »In der ganzen Welt herumgondeln hätte mir
auch Freude gemacht. Aber Papa ließ mich nie weg. In dieser Beziehung war er
ein großer Egoist.«
Jeannette hatte sich über die
Speisekarte gebeugt. Sie prüfte sie sorgfältig. »Ein Egoist«, sagte sie
zerstreut. Dann blickte sie auf und machte ihre Vorschläge. »Wir nehmen alle
erst eine kleine Vorspeise, ja?«
Während sie mit dem Ober
verhandelte, kam ein Boy an den Tisch. »Ihre Voranmeldung Paris, Mrs. Bonnard«,
meldete er mit einer korrekten Verbeugung.
Jeannettes Gesicht belebte
sich. »Sie entschuldigen mich ein paar Minuten.«
Als sie gegangen war, lehnte
Goggi sich in den Stuhl zurück. »Was sagst du dazu?«
Nicos
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