Mann mit Anhang
Drehkreuz ließ sich weder vorwärts noch rückwärts bewegen.
Ronald schob sich an dem langen
Amerikaner, der eine ungefaßte Brille trug, vorbei. »Das ist mein Hund«,
murmelte er wie zur Entschuldigung und beugte sich zu Jacky hinunter. Er fing
einen Blick auf, der ihm ins Herz schnitt. Jacky stand mit bebenden Flanken. Er
hörte zu klagen auf, sobald er Ronald sah.
Ronald tastete den
eingeklemmten kleinen Körper ab, und plötzlich, als hätte er eine elektrische
Alarmvorrichtung ausgelöst, begann Jacky wieder zu jaulen. »Wahrscheinlich sind
ihm ein paar Rippen eingedrückt«, sagte jemand. »Wenn man das Dreh-kreuz
weiterdreht, bringt man ihn um. Man muß sofort einen Mechaniker holen«, sagte
ein anderer. Eine Dame erklärte: »Er leidet entsetzlich. Er muß eine Spritze
bekommen.« Sie blitzte Ronald, den sie offenbar für einen ausgemachten Rohling
hielt, bitterböse an.
»Nix Spritze«, ließ sich die
beruhigende Stimme des Amerikaners vernehmen. Er kniete neben Jacky nieder und
tastete sich mit den Händen vorsichtig zu der Stelle vor, wo die Eisenstangen
die Weichteile Jackys gegen die Wand preßten. Jacky schnappte nach ihm, aber
der Amerikaner ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Nix beißen, I ‘m a
doctor«, setzte er ihm auseinander. Die Dame, die eine Spritze empfohlen hatte,
bekam einen hysterischen Anfall. »Sie reißen ihn in Stücke, das ist ja
Tierquälerei«, schrie sie mit bebender Stimme, und Jacky, von ihrem Gezeter
angesteckt, begann wieder zu jaulen. »Wie das Tier leidet! Ith kann es nicht
mit ansehen«, klagte die Dame.
»Dann gehen Sie weg«, sagte der
Amerikaner ruhig. Sein Handrücken zeigte da, wo Jacky ihn gebissen hatte,
kleine, blutunterlaufene Punkte. Er blickte zu Ronald empor. »Er ist o. k., nix
kaputt, nur Angst.«
Ronald hielt Jackys Kopf und
redete ihm gut zu. Er hatte in diesem Augenblick Jeannette und die große Uhr,
das Flugzeug, das nach Paris flog, er hatte die ganze Welt vergessen. Nur Jacky
zählte.
»Can you do it?« erkundigte
sich der bürstenhaarige Junge, und der Vater nickte wortlos, während er an
Jackys Befreiung arbeitete. Zoll für Zoll schob er ihn aus den Eisenstäben, die
wie die Zinken eines riesigen Kammes in die Rippen griffen, nach oben. »Don’t
worry, you are a good, brave dog«, sagte er zu Jacky, der plötzlich wieder
ruhig geworden war. Er hatte Vertrauen gefaßt, er spürte die Sicherheit der
vorsichtig arbeitenden Hände.
Ronald stand dabei und sah
gespannt zu. Auf einmal hob der Amerikaner mit einem kleinen Ruck Jacky hoch
und überreichte ihn Ronald mit dem stolzen Lachen eines Zauberers, dem ein
Trick meisterhaft gelungen ist.
Ronald dankte ihm
überglücklich. »Glauben Sie, daß er verletzt ist?«
Der Amerikaner schüttelte den
Kopf. »Garantiert nicht.«
Das Drehkreuz begann wieder
geschäftig zu tickern und die Menschen einen nach dem anderen durchzuschleusen.
Ronald preßte Jacky an sich. Er fühlte das kleine Herz heftig pochen. Er redete
ihm ins Gewissen. »Das hätte leicht schiefgehen können. Habe ich dir nicht oft
genug eingehämmert, du sollst dich nicht immer selbständig machen? Erinnere
dich bitte an die Marderfalle damals in Österreich.«
Jacky schielte zerknirscht. Er
wandte den Kopf zur Seite, denn dieser stachelige Besen, den sein Herr da trug,
kitzelte ihn an der Nase.
Der Besen waren die Rosen.
Rosen für Jeannette! Laßt
Blumen sprechen, wenn man selbst kein einziges der vielen Worte, die man sagen
wollte, über die Lippen brachte. Mit Jacky immer noch auf dem Arm, betrat er
den Speisesaal und blieb an der Tür stehen. Der Tisch, an dem Jeannette
gesessen hatte, war leer. Natürlich war er leer. Ronald schaute auf die Uhr.
Das Flugzeug startete in wenigen Minuten.
Ronald wollte sie nicht wieder verlieren.
Ließe er sie diesmal wieder laufen, dann war er ein Idiot! Er hatte das letzte
Wort laut vor sich hingesprochen, und ein Herr mit einem spitzen schwarzen
Ziegenbart im gelblichen Gesicht, der eben an ihm vorbeiging, musterte ihn
scharf. Ronald machte einen Bogen um ihn und lief zu der Sperre für das
Flugzeug nach Paris. Die Fluggäste waren schon abgefertigt. Ronald bückte sich,
um unter dem Gitter durchzuschlüpfen, aber zwei Beamte stürzten sich auf ihn,
als hätten sie nur auf diese Sekunde gewartet.
»Sie können hier nicht durch,
mein Herr.«
»Ich muß aber. Ich muß eine
Dame —«
»Bedaure, ohne Flugkarte können
Sie hier nicht durch«, unterbrach ihn einer der Beamten sanft,
Weitere Kostenlose Bücher