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Mann mit Anhang

Mann mit Anhang

Titel: Mann mit Anhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gitta von Cetto
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sehr kurz«, rief sie nach einer Sekunde des Schweigens.
    »Entsetzlich kurz.« Er schätzte
die Entfernung zwischen sich und dem Flugzeug ab. Sollte er versuchen, die
Rosen Jeannette zuzuwerfen? Eine lächerliche, überschwengliche Geste, die
sicher mißlingen würde. Die Rosen würden irgendwo auf dem nassen Rollfeld
landen, jemand würde sie aufheben und den zerrupften Strauß Jeannette reichen.
Und es war sehr fraglich, ob Jeannette beglückt darüber war. Rosen schenkte man
sich in Tirol, Rosen warf man einer Frau, die man enttäuscht hatte, nicht auf
den Flugplatz nach. »Jeannette!« rief er und barg die Blumen hinter seinem
Rücken. »Was ich noch sagen wollte — komm bald wieder.«
    »Ja. In einem
Vierteljahrhundert.«
    Sie ging rasch die paar Stufen
hinauf, drehte sich noch einmal um und winkte mit krampfhafter Heiterkeit.
Ronald winkte zurück. Dann schlüpfte sie in die Flugkabine, Ronald konnte sie
an keinem der Fenster entdecken. Diese entsetzlich stählerne Flugkabine glich
dem Bauch eines gefräßigen Ungeheuers, das seine Opfer nicht mehr hergibt.
    Wenig später donnerten die
Motoren. Das Flugzeug bewegte sich schwerfällig über das Rollfeld und bezog am
anderen Ende des weiten Flugplatzes seine Startposition.
    Ronald schwenkte die Arme. Die
Maschine raste über die Bahn, setzte sich vom Boden ab und gewann rasch an
Höhe. Dann zog sie eine weite, fast spielerische Schleife und vermengte sich
mit dem Grau des Himmels, wurde ein Pünktchen und verlor sich.
    »So, das wär’s«, sagte Ronald
heiser und räusperte sich. Er beugte sich mit einem grimmigen Lächeln zu Jacky
hinunter. »Das hast du mir mit deiner Drehkreuzballade eingebrockt, alter
Freund. Besten Dank.«
    Warum er es eigentlich tat,
wußte er selbst nicht, aber plötzlich trat Ronald Gutting zu dem unscheinbaren
Ding hin, das ihm die zehn Pfennig geborgt hatte, und sagte, nicht anders als
der Kavalier aus einem Groschenheft: »Fräulein, darf ich Ihnen diese Blumen
schenken?«
    Das Mädchen schrak vor dem
Rosenstrauß zurück wie vor einer gezückten Pistole. »Ich weiß nicht —«,
stammelte sie.
    Ronald wußte es eigentlich auch
nicht, konnte nun aber nicht mehr zurück. »Sie haben mir vorhin sehr geholfen.«
Er zögerte, »und außerdem sind die Rosen gewissermaßen übriggeblieben«, sagte
er dann frei heraus.
    »Wegen dieser paar Pfennige«,
murmelte sie.
    Er sah, wie es in ihr
arbeitete. Sie taxierte den Wert der Blumen, und ein großes, kindliches
Erstaunen machte ihr Gesicht hübscher. Offenbar war ihre Kalkulation der Summe
von fünfzig Mark nahegekommen.
    »Ich trage sie Ihnen«, sagte
er. »Ich fahre zurück in die Stadt und nehme Sie in meinem Wagen gern mit, wenn
Sie wollen.«
    Sie überlegte nur einen
Augenblick. Dann nickte sie beglückt. Nein, dieser Mann war kein
Heiratsschwindler und auch kein Wüstling, sondern eben nur ein
menschenfreundlicher Herr mit einem Hund.
    Es hatte zu regnen aufgehört.
Im Lack seines Autos spiegelten sich schräge Sonnenstrahlen, die der Himmel
durch ein lila Wolkengebilde schickte. Ronald blieb stehen und holte den
Schlüssel aus der Tasche. Dieses blaue, chromblitzende Ungeheuer war ein neuer
Schock für das Mädchen. »Oh, das ist ja —«
    »Keine Höllenmaschine, nur ein
Auto. Kommen Sie.«
    Als erster sprang Jacky in den
Wagen und behauptete seinen Platz neben Ronald. Dann stieg sie ein. Sie zögerte
den Bruchteil einer Sekunde. Es sah so aus, als ob sie sich innerlich
bekreuzigte. Ronald stellte psychologische Betrachtungen an, während er den
Wagen anließ. Ein Veilchensträußchen hätte er ihr überreichen müssen und einen
grauen Volkswagen müßte er fahren, dann wäre ihr wohler gewesen.
    »Haben Sie auch jemand an das
Pariser Flugzeug gebracht?«
    Sie wehrte fast erschrocken ab.
»O nein.«
    »Probieren Sie’s mal, das kann
ganz drollig sein, direkt zum Kaputtlachen.«
    Ein Verrückter? Sie wurde für
ihn rot und wagte ihn nicht anzusehen. Oder vielleicht war das die
Umgangssprache, die in solchen Automobilen üblich war. Weltleute drückten sich
wahrscheinlich ganz anders aus als gewöhnliche Männer.
    Ronald verfiel in düsteres
Schweigen. Kein Zweifel, er hatte die letzte Chance, die ihm das Leben
zugeworfen hatte, verpaßt. Das hausbackene Mädchen neben ihm, das die Rosen wie
ein Kleinod auf dem Schoß hielt und weit nach der Tür hin abrückte, als müsse
sie sich bei dem Hund für ihre Gegenwart entschuldigen, war seinem Bewußtsein
ganz entschwunden. Erst als er an

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