Mann mit Anhang
einem Bahnübergang halten mußte, erinnerte er
sich ihrer Gegenwart. »Wo darf ich Sie absetzen?« fragte er.
Sie antwortete mit einer
Gegenfrage. »Wohin müssen Sie?«
»Ich?« Ronald dachte nach.
»Paris.«
»Aha, Pariser Platz. Da kann
ich aussteigen und bekomme meine Straßenbahn.«
»Nein, nicht Pariser Platz,
Paris an der Seine, original Paris.«
Sie sagte nichts, aber Ronald
schien es, als rücke sie noch weiter von ihm fort. Offensichtlich hielt sie
seine Worte für das Zeichen eines drohenden Anfalles. Also doch ein Verrückter.
»Sie waren also nur zum
Vergnügen auf dem Flugplatz«, wandte er sich ihr begütigend zu.
»Ja. Ich hatte heute meinen
freien Nachmittag. Ich wollte mal sehen, wie das ist.«
»Wie was ist?«
»Wenn Menschen abfliegen. Mich
packt das direkt. Ich finde jede Art von Abschiednehmen schrecklich.«
Aus irgendeinem Grund tat sie
ihm plötzlich leid. Sie sah selbst so verabschiedet aus, so ganz und gar links
liegengelassen. »Ihren freien Tag? Was tun Sie denn?« fragte er.
»Ich bin Säuglingsschwester.«
Ronald nickte zerstreut; Paris,
Paris! Sollte er wirklich nach Paris fahren? Und in tausend Straßen umherirren
und Jeannette suchen? In den Straßencafés sitzen und hoffen, daß sie
vorbeikäme? Hoffen, daß Jacky sie plötzlich irgendwo in die Nase bekäme und an
der Leine zerrte? Ein Jammer, daß Jacky sie nicht näher kennen- und
schätzengelernt hatte. So bedeutete ihm ihr Geruch nicht viel. Aber man könnte
die Hotels abklappern. Sämtliche. Die großen und die kleinen. Wahrscheinlich
waren es Hunderte. Oder Tausende? Und wenn er ihr wirklich noch einmal
begegnete, was dann? Sie war mit ihrer Tochter beschäftigt und würde in kurzer
Zeit zu ihrem Mann zurückfliegen.
Das Mädchen an seiner Seite
hatte zu sprechen begonnen. »Ich darf nicht klagen, ich liebe meinen Beruf,
sonst hätte ich ihn schließlich nicht gewählt. Aber es ist hart. Immer wenn man
sich an die Babys gewöhnt hat, muß man sie wieder hergeben. Und die Mütter
erwarten, daß man sich für ihre Babys zwar in Stücke reißt, aber sie sind sehr
erstaunt und ärgerlich, wenn die Kleinen die Kinderschwester manchmal mehr
lieben als ihre Mütter, die sie ja viel seltener sehen.«
»Wenn Sie mal was brauchen,
rufen Sie mich an, ja? Ich stehe im Telefonbuch.« Ronald nannte seinen Namen.
»Und Sie? Wie heißen Sie?«
»Angelika Kurz.«
Er zerbrach sich den Kopf, was
er mit Angelika Kurz weiter anfangen sollte. Irgendwie kam er sich
verantwortlich für Angelika Kurz vor, die er mit Rosen beschenkt und dann in
sein Auto gepackt hatte und die ihm jetzt so vertrauensvoll von ihrer
unglücklichen Liebe zu den Kindern anderer Frauen erzählt hatte. »Haben Sie es
wenigstens nett, wo Sie jetzt sind?«
»Leider gar nicht. Die Frau des
Hauses behandelt mich so unpersönlich, als sei ich ein Automat, in den man das
Monatsgehalt hineinsteckt und dafür die Arbeitsleistung herausholt. Sie hat
außerhalb meines Dienstes noch keine drei Worte mit mir gewechselt.«
»Warum bleiben Sie denn?
Säuglingsschwestern sind doch überall gefragt.«
»Schon. Aber ich kann doch von
dem Baby nicht einfach wegrennen. Meine Herrschaft geht sowieso im Mai oder
Juni nächsten Jahres nach Australien. So lange bleibe ich.«
»Und dann kommen Sie zu mir.
Hätten Sie Lust?«
Also ein Arbeitgeber! Ihr
kleiner, kurzer Traum brach in Stücke, aber sie sammelte sie auf und machte das
beste daraus. Auch als Boß würde ihr der freundliche Herr lieb sein.
»Brauchen Sie denn eine
Säuglingsschwester?«
»Ja, notwendig«, sagte er
knapp.
Auch Angelika Kurz wurde ganz
sachlich, sobald es sich um Säuglinge handelte. »Ihre Frau erwartet ein Baby?«
fragte sie.
Ronald dachte an sein
verliebtes junges Paar, Goggi und Nico, und unwillkürlich zog ein Ahnen von
Milchflaschen und Schnullern und Kinderwagen und lustig im Garten flatternden
Windeln durch seine Brust. Windeln im Maiwind. »Nein, nicht meine Frau, meine
Tochter erwartet ein Baby«, sagte er gemessen. »Sie lebt mit ihrem Mann bei mir
im Haus.«
»Schon bald?«
»Nein, nicht so bald. Ich
glaube, es würde sich hinausziehen lassen, bis Sie dort abkömmlich sind, Mai
oder Juni nächsten Jahres.«
Angelika Kurz lachte still in
sich hinein. Er sah es im Rückspiegel, aus dem ihm vor zwei Stunden noch
Jeannettes Gesicht entgegengeblickt hatte. »Jetzt haben wir erst September. Wie
wollen Sie denn wissen, daß Ihre Tochter im Mai oder Juni ein Baby bekommt?«
»Ich habe in der
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