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Mann mit Anhang

Mann mit Anhang

Titel: Mann mit Anhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gitta von Cetto
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aber
unerbittlich. Er warf einen verständnisvollen Blick zuerst auf die Rosen, dann
in Ronalds erregtes Gesicht. Solche Kunden kannte man! Kauften für ein
Sündengeld Blumen und kamen immer zu spät damit.
    »Es ist äußerst wichtig«, sagte
Ronald ärgerlich. »Sie können mich doch hier nicht einfach festhalten.«
    »Wir halten Sie nicht fest,
aber wir dürfen Sie nicht durchlassen. Wenn Sie sich sehr beeilen, können Sie
oben von der Terrasse aus die Fluggäste noch einsteigen sehen.«
    »Einsteigen! Ich will sie ja
nicht einsteigen sehen, ich will sie zurückhalten.« Ronald stürzte zu der
Treppe, die von der Haupthalle nach oben führte. Hier war wieder eines dieser
verdammten Drehkreuze. Man mußte ein Zehnpfennigstück einwerfen, damit es einen
durchließ. Ronald fingerte verzweifelt in seinen Rocktaschen, ohne eine Münze
zu finden. Er erinnerte sich, daß er die letzten Münzen am Zeitschriftenstand
des Hotels ausgegeben hatte. Er zerrte an der Mechanik, die ihm den Weg
versperrte, aber der Stahl erwies sich als Sieger in diesem Zweikampf. Das
Drehkreuz war sein Schicksal! Heute nun schon zum zweitenmal.
    Das junge Mädchen hinter ihm
zauderte eine Sekunde, dann drängte es sich an ihm vorbei, warf ein
Zehnpfennigstück in den Schlitz und passierte das Drehkreuz. Es war ein
hageres, semmelblondes Ding, und Ronald erwog den Gedanken, sich gleichzeitig
mit dem Mädchen durchzuzwängen, aber die trübe Erfahrung, die Jacky heute bei
einem ähnlichen Versuch schon gemacht hatte, hielt ihn davon ab.
    »Hallo, Fräulein, einen
Moment!« rief er, »würden Sie mir zehn Pfennig leihen? Ich lasse nachher Geld
wechseln und werde es Ihnen zurückgeben«, versicherte er.
    Das Mädchen lachte ihn verlegen
an und begann eifrig in ihrer kleinen Handtasche zu kramen. »Hier«, sagte sie
und reichte Ronald die Münze.
    »Danke, Sie sind mein rettender
Engel.« Er warf einen flüchtigen Blick in das farblose Gesicht mit den
wasserblauen Augen. Ein Gesicht für alle Tage, ein Werktagsgesicht. Man müßte
es sich sehr genau einprägen, um es unter Millionen anderer Gesichter
wiederzuerkennen. Aber in der nächsten Sekunde hatte er es schon vergessen. Er setzte
Jacky, den er immer noch auf dem Arm trug, auf den Boden und lief ganz nach vom
zu der Brüstung.
    Es war eine kleine,
dreimotorige Maschine, mit der Jeannette flog. Dreimotorig oder sechsmotorig,
sie würde genügen, um Jeannette unerbittlich zu entführen. Die wenigen
Passagiere stiegen eben in die Kabine. Jeannette war unter den letzten. Als sie
ihren Fuß auf die Treppe setzte, rief er nach ihr. Sie drehte sich um und hielt
Ausschau.
    Ronald schwenkte den Arm.
»Jacky war eingeklemmt, ich konnte nicht eher kommen«, rief er, aber er war
nicht sicher, ob sie ihn verstanden hatte.
    Jeannette hob die Schultern.
Der Wind tobte und zerfetzte seine Worte.
    »Vielleicht besuche ich dich in
Paris.« Warum nicht? Unten stand der Wagen. Wer hinderte ihn daran, ihn gen Westen
zu steuern. »Wo wohnst du in Paris?«
    Ihr Mund formte ein Wort, aber
er konnte es nicht verstehen. Hinter ihr drängte jetzt ein Mann mit einem
stutzerhaften Kamelhaarmantel ins Flugzeug. Jeannette stand auf halber Höhe der
Stufenleiter und versperrte ihm den Weg. Sie sah unschlüssig zu Ronald empor,
als warte sie auf ein Wunder. Aber dieses Wunder geschah nicht. Er rannte nicht
hinunter und bahnte sich seinen Weg mit den Ellenbogen durch die Sperrposten,
riß Jeannette in seine Arme und sagte: Du darfst jetzt nicht wegfliegen, ich
habe dich schon einmal weglaufen lassen, das genügt mir. Jetzt lasse ich dich
nicht mehr gehen, du mußt immer bei mir bleiben.
    Nein, das tat Ronald Gutting,
Inhaber der Gutting Kosmetik KG, Vater von Goggi, Herr und Gott von Jacky,
fünfundvierzig Jahre alt, ein unerlöster, ewiger Träumer, das tat Ronald
Gutting natürlich nicht.
    »Wo wohnst du? Ich habe dich
vorhin nicht verstanden«, rief er nur.
    »Bei Freunden.«
    Ihr Mund wurde plötzlich
schmal, schmal wie ein Riegel, der den ungestüm hervordrängenden Worten Halt
gebot. Er sah es ganz deutlich. Und plötzlich begriff er, daß sie ihn in Paris
gar nicht haben wollte. Jetzt nicht mehr. Vor zehn Minuten wäre sie vielleicht
noch anderer Meinung gewesen, vor zehn Sekunden sogar noch.
    Jeannette machte sich ganz
schmal und ließ den dicken Kamelhaarherrn an sich vorbei. »Roni!«
    »Ja.«
    Wieder verschloß sie das, was
sie eigentlich sagen wollte, hinter ihren zusammengepreßten Lippen. »Es war
herrlich, aber

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