Mann Ohne Makel
Straße, dann hörte ich es quietschen. Zuerst wusste ich nicht, woher. Aber dann hab ich die Kiste gesehen. Genau der Benz, der da gewartet hatte. Der raste mit einem irren Tempo auf die Frau zu. Die hat das zuerst gar nicht mitgekriegt, dann hat es schon kawumm gemacht.«
Er schlug mit der Faust in seine Hand.
»Und der Fahrer, haben Sie ihn erkannt?«
Stroh lehnte sich zurück. »Ich weiß nicht so recht.«
»Aber Sie haben ihn doch gesehen, als er wartete? Das haben Sie doch gerade eben gesagt.«
»Na ja, es war ein Mann.«
»Alt, jung?«
»Ein alter Mann.«
»Woran haben Sie das erkannt?«
»Er hatte weiße Haare, eine hohe Stirn, die Haare ein bisschen länger.«
»Und ein gebräuntes Gesicht?«
»Stimmt, jetzt, wo Sie es sagen.« Er drehte sich um zu Carmen, als erwarte er eine Bestätigung.
»Könnte es nicht ein junger Kerl sein, der eine Perücke aufsetzt, damit jeder denkt, er wäre ein alter Knacker?«, fragte Carmen.
Stroh drehte seinen Stuhl in ihre Richtung. Er ließ seine Augen über sie schweifen, sie zeigte mit keiner Miene, wie abstoßend Stroh wirkte. »Das müsste ja ein ganz schlaues Kerlchen sein.
Ein helles Köpfchen, so einer wie ich.«
»Könnte doch sein«, sagte Carmen.
»Könnte sein. Aber es war ein Alter, so was sieht man doch.«
»Woran?«, fragte Carmen.
»Der Mann hatte eine alte Fresse. Er hatte Falten. Und eine alte Nase.«
»Woran erkennt man eine alte Nase?«
»Sie ist schärfer, sie hatte einen Haken.«
»Sie meinen vielleicht, betrachtet man alles zusammen, was Sie gesehen haben, dann muss es ein alter Mann gewesen sein.«
»Genau.«
»Wie alt?«
»Woher soll ich das wissen?«
»Älter als sechzig?«
»Bestimmt.«
»Älter als siebzig.«
Stroh nickte. »Ein ziemlicher Grufti, steinalt.«
»Würden Sie ihn wieder erkennen?«
»Weiß nicht.«
»Sie haben uns sehr geholfen, Herr Stroh«, sagte Carmen.
»Vielen Dank.«
Taut räusperte sich. »Kennen Sie den Herrn, der neben meiner Kollegin sitzt?«
Stroh warf Carmen einen Blick zu und dann Ossi. Seine Augen blieben eine Weile hängen an Ossi. Stroh zog die Stirn in Falten, dann sagte er: »Kann sein. Die andere würde ich lieber anschauen.«
Geduld lag in Tauts Stimme, als er fragte: »Das verstehe ich, aber wir haben ja hier keinen Schönheitswettbewerb, nicht wahr?«
Stroh lachte, es war abstoßend. »Dann will ich mir den Herrn noch einmal beschauen.« Ossi saß bewegungslos auf seinem Stuhl, als Strohs Augen sich auf ihn richteten.
Stroh blickte auf Carmen, dann drehte er sich wieder um zu Taut. »Nee, den kenn ich nicht. Das ist doch ein Bulle, ich habe mit Bullen nie was zu tun gehabt, bin ein ehrlicher Mann.«
»Sieht man mal ab von einer schweren Körperverletzung und ein paar anderen Kleinigkeiten.«
»So ein Quatsch. Das ist ein Justizirrtum. Da war ein Typ in der Kneipe, der wollte mich fertig machen. Und ich hab mich gewehrt, das ist alles. Das hab ich der Richterin auch gesagt, aber das war ’ne Männerhasserin. Die hat mich in den Bau geschickt, weil ich ein Kerl bin. Außerdem ist das schon Jahre her.«
»Eineinhalb«, sagte Taut.
»Sag ich doch.«
Ossi stand auf und verließ das Zimmer. Er ging zum Kaffeeautomaten und kam mit einem Becher Kaffee zurück zu Taut. Als er die Tür aufmachte, blickte ihm Stroh ins Gesicht. Carmen sagte: »Hättest mir auch einen mitbringen können.«
Stroh sagte: »Der sieht aus wie der Mann, der mit der Frau redete, bevor der Mercedes kam. Jetzt fällt es mir ein. Jedenfalls so ähnlich.«
»Da haben Sie aber gute Augen«, sagte Taut freundlich.
»Da bin ich stolz drauf«, sagte Stroh. »Also, beschwören würde ich es nicht. Aber er könnte es gewesen sein.«
»Er war es«, sagte Taut.
Ossi verließ das Zimmer und holte noch einen Kaffee. Als er zurückkam, reichte er ihn Carmen mit einer Verbeugung.
Taut sagte: »Und mir bringst du keinen mit?«
Stroh fragte: »Und ich?«
Tauts Telefon klingelte. Er nahm den Hörer ab. »Ja, ich komme«, sagte er. Er legte auf. »Und ihr kommt mit«, sagte er zu Ossi und Carmen. »Herr Stroh, ob Sie einen Augenblick auf uns warten könnten?«
Taut trat mit beiden auf den Flur. »Das haben Sie toll hingekriegt«, sagte Taut zu Carmen. »Normal finde ich es ja unter aller Sau, wenn mich jemand bei einem Verhör unterbricht, aber am Ende zählt, was hinten rauskommt.«
»Bei Ammann habe ich es dafür verbockt«, erwiderte Carmen. »Wir hatten den Fisch schon fast an Land, und ich habe die Leine
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