Mann Ohne Makel
ich gut, den jungen kaum.«
»Wann haben Sie Norbert Enheim zum ersten Mal gesehen.«
»Bei einer Feier, äh, also der Taufe. Holler war sein Pate.«
»Herrmann Holler?«
Ammann nickte. »Ist doch nicht strafbar, oder?«
»Hat sich denn der Pate um sein Patenkind gekümmert?«
»Keine Ahnung, es war kurz vor Kriegsende, da hatte ich andere Sorgen, als zu gucken, was Paten anderer Leute trieben.«
»Kann man sagen, Holler und Sie gehörten einer Gruppe an?«
»Dienstlich hatten wir nicht viel miteinander zu tun.«
»Das meinte ich nicht. Hatten Sie denn außerhalb des Dienstes miteinander zu tun?«
»Nichts Bedeutendes. Wir haben uns ab und zu im Polizeisportverein getroffen. Holler und ich spielten gerne Faustball und Handball.« Ammann stand auf, fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Offenbar war ihm etwas eingefallen.
»Und wer gehörte noch zu dieser Gruppe?«
»Gruppe, Gruppe, Sie übertreiben das.«
»Grothe, Enheim, Holler, Prugate und noch ein paar.«
Stachelmann sagte es, als würde er einen Steuerbescheid vorlesen. »Vielleicht gefällt Ihnen der Begriff Freundeskreis besser?«
Ammann lief zwei Schritte zum Fenster, drehte sich auf den Absätzen und ging zwei Schritte zurück. Irgendetwas arbeitet in dem Mann, dachte Stachelmann. Soll ich ihn weiter bedrängen oder warten, bis er was ausbrütet? Er beobachtete Ammann, der geistig abwesend zu sein schien. Er sah, wie Anne dem Marsch des Maklers und einstigen SS-Manns mit den Augen folgte. Ihre Augen trafen sich. Anne zog die Augenbrauen hoch, Stachelmann hob kurz und leicht die Hände. Er wusste nicht, was vorging in Ammann. Ob ihn die Erinnerung überwältigte?
Plötzlich blieb Ammann stehen. Er zeigte mit dem Finger auf Stachelmann und fragte: »Ich habe möglicherweise Ihren Namen nicht richtig verstanden. Stachelmann, stimmt das?«
Stachelmann war überrascht, er nickte.
»Kennen Sie einen Paul Stachelmann?«
Stachelmann wollte es abwehren, aber es kam näher. Als würde ein anderer seinen Kopf steuern, er nickte.
»Dann haben Sie bestimmt vergessen, diesen Namen anzuführen, als Sie die Mitglieder unseres, wie sagten Sie so schön, Freundeskreises aufzählten.«
Stachelmann schüttelte den Kopf.
Ammann lachte. »Sie werden wissen, was der Name bedeutet. War es Ihr Onkel? War es Ihr Vater? Na, sagen Sie schon!«
Ammanns Stimme hatte sich verschärft, mit einem höhnischen Unterton. So hatte sie wohl geklungen, als er die schwarze Uniform trug. »Keine Antwort ist auch eine Antwort.« Er lachte. »Manchmal holt einen die Wahrheit im falschen Augenblick ein, nicht wahr, Herr Doktor Stachelmann!«
Stachelmann mühte sich, seinen Zorn zu zügeln. Er war böse auf sich. Er hatte sich von seinem Vater abspeisen lassen mit der Hälfte der Wahrheit. Obwohl er es geahnt hatte, fragte er nicht nach. Die Strafe für seine Feigheit empfing er nun von Ammann.
»Ja, es gab einen Freundeskreis deutscher Männer in Hamburg, und die von Ihnen genannten Leute gehörten dazu. Sie haben außer Paul Stachelmann noch ein paar andere vergessen. Es war Krieg, guter Mann, das können Sie sich nicht vorstellen, nicht wahr? Krieg, das heißt, es geht um Ihren Arsch, jeden Tag, jede Nacht, jede Stunde. Krieg ist ein Lebensgefühl. Es hat Generationen geprägt. Und dann kommt so ein Wirtschaftswunderzögling und will unsereins aufklären. Wahrscheinlich kommt jetzt gleich die Judengeschichte, ich warte schon drauf. Ich sag’s noch mal, auch wenn Sie es nicht kapieren, Krieg ist ein Lebensgefühl. Die Juden waren unsere Feinde. Entweder sie oder wir, so stand es. Sie haben uns den Krieg erklärt, und wir haben uns verteidigt. Das ist alles. Ach ja, wir haben verloren gegen die große Allianz von Weltjudentum und Bolschewismus, wobei ich den Bolschewismus nur für eine Abteilung des Weltjudentums halte. Ich sage nur Trotzki, Litwinow, Radek, und wie das Pack hieß.«
»Wir gehen«, sagte Stachelmann. Er hielt es nicht aus. Anne widersprach nicht. Sie hörten Ammann lachen, als sie gingen. »Feiglinge!«, sagte er. Und: »Grüßen Sie Paul von mir, ich hab ihn schon lange nicht mehr gesehen.«
Der Polizeiwagen stand noch da. Anne setzte sich ans Steuer und fuhr um die Ecke. Sie parkte den Toyota am Straßenrand und schaltete den Motor aus. Sie schaute Stachelmann von der Seite an und sagte: »Volltreffer.«
Es war ein Volltreffer. Stachelmann fühlte sich gedemütigt. Er war selbst schuld, er hätte seinen Vater nicht davonkommen lassen dürfen mit
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