Mann Ohne Makel
sie.
»Besser nicht, reicht ja, wenn einer auf die Gleise geschubst wird.«
»Besser, ich pass auf dich auf, du stolperst so gern.«
»Du glaubst mir also auch nicht.«
»Kein Wort.«
»Die ideale Grundlage unserer Zusammenarbeit. Hast du ein Telefonbuch?«
Sie holte es.
Stachelmann blätterte. Unter »A« fand er »Ammann«.
»So oft gibt’s den Namen nicht, versuchen wir es gleich mit ihm.« Er wählte die Nummer. Es klingelte einige Male, bis abgehoben wurde.
»Spreche ich mit Herrn Ammann?«
»Und mit wem spreche ich?« Es war die Stimme eines alten Manns.
»Entschuldigung, ich habe vergessen, mich vorzustellen, Dr. Stachelmann.«
Anne zog die Augenbrauen nach oben und grinste. Sie drückte auf einen Knopf am Telefonapparat, sie streifte ihn mit ihren Haaren im Gesicht.
»Und was wollen Sie von mir?« Jetzt ertönte Ammanns Stimme auch aus dem Freisprechlautsprecher des Telefonapparats.
»Ich sitze mit meiner Kollegin an einer Recherche zur Hamburger Stadtgeschichte im Auftrag der Universität. Wir befassen uns zurzeit mit dem Zweiten Weltkrieg. Uns hat jemand gesagt, wir sollten mal Sie fragen, Sie wüssten da bestimmt einiges. Sie haben doch damals in der Stadtverwaltung gearbeitet?«
Die Antwort brauchte eine Weile. »Ja, so kann man das sagen. Aber ich wüsste nicht, was ich Ihnen erzählen sollte. Ich hatte damals nichts zu sagen.«
»Da hat mir jemand aber was anderes erzählt.«
»Und wer ist das?« Ammanns Stimme klang ängstlich und aggressiv zugleich.
»Quellenschutz«, sagte Stachelmann. »Wir haben dem Mann versprochen, wir halten seinen Namen geheim. Wir würden auch Ihren Namen geheim halten, wenn Sie es wünschen.«
»Ich bin nicht interessiert. Ich weiß nichts, was Sie weiterbringen könnte.« Er legte auf.
Stachelmann drückte die Wahlwiederholungstaste.
»Ja?«
»Dr. Stachelmann noch mal. Entschuldigen Sie, unser Gespräch wurde getrennt, von wegen moderne Technik bei der Telekom. Das Wichtigste hatte ich vergessen. Ich habe hier ein Dokument, in dem ein Hauptscharführer Ammann eine Rolle spielt. Das sind doch Sie, oder? Und Sie wollen doch bestimmt nicht in der Zeitung lesen, dass ein ehemaliger SS-Hauptscharführer Ammann genauso in Lebensgefahr schwebt wie ein gewisser Herr Enheim, dessen Vater Standartenführer der SA war.«
Schweigen. Stachelmann hörte Ammann schwer atmen.
»Wir möchten Sie gern besuchen, geht es heute Nachmittag?«
»Kommen Sie um zwei, die Adresse steht im Telefonbuch.« Ammann klang, als wäre er während des Gesprächs gealtert. Er legte auf.
»Ich gehe mal schnell vernünftige Klamotten und eine Zahnbürste für dich kaufen«, sagte Anne. »Hier um die Ecke gibt’s einen Herrenausstatter und eine Drogerie. Du bleibst hier und schaust aus dem Fenster, ob mir einer hinterher läuft.«
Stachelmann öffnete sein Portemonnaie. Er gab ihr vierhundert Mark. Sie steckte die Geldscheine ein. Er stellte sich ans Fenster und verfolgte sie mit seinem Blick. Niemand lief ihr hinterher. In der Ferne sah sie noch zierlicher aus. Sie verschwand schließlich hinter einer Häuserecke.
Die Tür ihres Arbeitszimmers stand offen. Er zögerte, dann betrat er es. Es war klein. An der längeren Wand ein Regal, es reichte bis an die Decke. Die Bücher waren alphabetisch nach den Autorennamen geordnet. Unter »S« entdeckte er die beiden Bücher, die er geschrieben hatte. Seine Promotion über das KZ Buchenwald und ein Taschenbuch mit dem Titel »Vergessen und Verdrängen«, eine Polemik gegen die Geisteshaltung der meisten Westdeutschen nach dem Krieg. Er zog seine Promotionsarbeit aus dem Regal und schlug sie auf. Er blätterte, viele Stellen waren angestrichen. An manchen stand am Rand ein Ausrufezeichen. Das Taschenbuch sah genauso aus. Er stellte die Bücher zurück und setzte sich im Wohnzimmer aufs Sofa. Die beiden Dokumente lagen auf dem Tisch. Er musste sie in Sicherheit bringen.
Anne trug eine große und eine kleine Plastiktüte, als sie zurückkam. »Das müsste dir passen«, sagte sie. »Eher zu groß.« Sie stellte die große Tüte auf den Wohnzimmertisch und ging in die Küche. Stachelmann leerte die Tüte auf dem Sofa. Zwei Hemden, eine Hose, Socken, Unterwäsche, die Sachen gefielen ihm. Die Kleidungsstücke trugen keine Preisschilder. Stachelmann lehnte sich an den Türrahmen der Küche. »Du kriegst noch Geld von mir, stimmt’s?«
»Nein, es wurde Zeit, dass du mal neue Klamotten anziehst. Ich mag Anzüge auch nicht, aber selbst Jeans
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