Mann Ohne Makel
haben ein Verfallsdatum.« Sie fasste sich an die Stirn. »Ach, das hätte ich fast vergessen.« Sie reichte ihm eine Zahnbürste. »Und jetzt ab ins Bad, Sie stinken, Herr Doktor.«
Sie verließ die Wohnung und holte ihren kleinen Toyota. Er wartete am Hinterausgang, stieg schnell ein, als sie kam. Sie fand einen Parkplatz in der Nähe des Philosophentums. Sie betraten sein Büro, Stachelmann hielt die Aktenkopien in der Hand und überlegte, wo er sie verstecken konnte. Er fasste sich kurz an den Kopf, verließ das Zimmer und lief zum Kopierer. Es dauerte nicht lange, bis das Gerät warm gelaufen war und er die Akten kopieren konnte. Er steckte die neuen Kopien in die Jackentasche. Er ging zurück ins Zimmer. Er betrachtete den Berg der Schande, zog einen Ordner aus der Mitte heraus, öffnete ihn, nahm einige Seiten, legte die Kopien aus Berlin auf den Stapel und bedeckte sie mit dem Teil der Akten, den er abgehoben hatte. Dann schob er den Ordner in den Stapel zurück.
»Und die findest du nun wieder?« Es klang spöttisch.
Er antwortete nicht.
Er sah eilig die Post auf seinem Schreibtisch durch. Ein Schreiben des Bundesarchivs machte ihn neugierig. Er öffnete es, es war ein Rundschreiben an Benutzer. Leider können wichtige Bestände auf unabsehbare Zeit nicht mehr genutzt werden. Durch einen bedauerlichen Zufall oder ein Verbrechen ist die Kopierfirma, der das Bundesarchiv die Kopieraufträge der Benutzer übertragen hat, niedergebrannt und mit ihr zahlreiche Aktenbestände. Bedauerlicherweise waren zum Zeitpunkt des Brandes besonders viele Akten in der Firma gelagert. Das Bundesarchiv bemüht sich, die zerstörten Bestände zu ersetzen, wo immer es möglich ist. Wir müssen aber davon ausgehen, dass es von den meisten verbrannten Akten keine Kopien gibt. Leider sollten Teile der Akten erst in den kommenden Monaten auf Mikrofiche übertragen werden …
Er reichte Anne den Brief. Sie las ihn und pfiff. »Schau an, das ist ja interessant. Da muss nach dir einer gezündelt haben.«
»Wäre schon ein arger Zufall, wenn sich die Akten selbst entzündet hätten.«
Sie fuhr gut. Er saß auf dem Beifahrersitz und überlegte, wie er Ammann beikommen konnte. Er hatte Angst vor dem Treffen. Vielleicht war Ammann verwickelt in diese Mordgeschichte. Möglich, dass er Enheim umgebracht hatte. Es war nicht einmal auszuschließen, dass er der Drahtzieher dieses Wahnsinns war, der Hamburgs Polizei und nun auch ihn beschäftigte.
Stachelmann hatte den Stadtplan auf den Knien und lotste Anne in die Hagedornstraße in Eppendorf. Sie verfuhren sich nicht und waren pünktlich. Ein Polizeiauto stand auf der anderen Straßenseite, darin zwei Beamte. Sie verfolgten, was Ossi und Anne taten.
»So wohnt also ein Serienkiller«, sagte Anne, als sie vor Ammanns Haus standen.
Ammann öffnete die Tür gleich nach dem ersten Klingeln. Der Kerl ist durchgeknallt, dachte Stachelmann, als er ihn durch den Türspalt herausschauen sah.
»Sie sind Herr Dr. Stachelmann?«
»Ja, und das ist Frau Derling.«
Ammann winkte sie in die Wohnung. Jetzt sah Stachelmann, Ammann hatte Angst. Er führte seine Besucher ins Wohnzimmer und zeigte aufs Sofa. Ammann setzte sich auf die Vorderkante eines Sessels und schaute sie an. »Bitte?«
Stachelmann legte seine Aktenkopien auf den Wohnzimmertisch. Der Gestank in der Wohnung nahm ihm die Luft. »Das ist ein Teil der Akten, die wir an einem unbekannten Ort aufbewahren. Wir sind durch einen Zufall an diesen Bestand geraten, durch einen glücklichen Zufall.«
Ammann schaute ihn reglos an.
»Diese Kopien haben wir Ihnen nur mitgebracht, damit Sie einen ersten Eindruck unseres Materials bekommen. Bei Gelegenheit zeigen wir Ihnen gerne mehr.«
Ammann bewegte sich nicht. Auf seiner Stirn glitzerte eine Schweißperle.
»Wollen Sie uns nicht ein bisschen was erzählen vom Krieg?«
»Was soll ich da erzählen?« Er sprach leise.
»Na ja, wie Sie Ihre Feinde, die Juden, bekämpft haben.«
»Die Juden waren nicht meine Feinde, jedenfalls nicht die meisten von denen, die in Deutschland lebten.«
»Aber die im Ausland.«
»Die haben uns boykottiert. Sie haben von Anfang an gehetzt gegen das neue Deutschland. In Amerika und England, überall auf der Welt haben sie geschrieen: Kauft nicht bei Deutschen! Da sind in Deutschland einigen die Sicherungen durchgebrannt. Man darf sich darüber nicht wundern, wenn man jahrelang auf einem Volk herumtrampelt. Denken Sie nur an Versailles!«
»Wegen Versailles haben
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