Mann Ohne Makel
beweist es«, sagte sie. Als sie eine Seite mit Namen, Adressen und Summen vor sich liegen hatte, schnaufte sie. »Das ergibt keinen Sinn, es sei denn, Holler und seine Komplizen haben diesen Leute diese Anwesen für diese Preise abgepresst. Ich weiß ja nicht, was für eine Kaufkraft die Reichsmark damals hatte, aber mir scheint, die Beträge sind nur bezahlt worden, um der Sache den Mantel der Rechtmäßigkeit umzuhängen. Gibt’s die Leute noch?« Sie antwortete sich gleich selbst. »Eher nicht.«
»Aber wenn es noch einen gibt, dann weiß der sicher mehr«, sagte Stachelmann. »Nur, er dürfte steinalt sein.«
»Und wenn wir einen auftreiben könnten, wo?«, fragte sie.
»Wir gehen zur jüdischen Gemeinde, die sollten die Überlebenden kennen.«
»Aber nicht mehr heute Nacht, jetzt wird geschlafen. Und zwar in meinem Bett. Ich falle nicht über dich her, ich verspreche es.«
Als Stachelmann aus dem Bad ins Schlafzimmer kam, lag Anne auf dem Bauch, die Decke ließ die Schultern frei. Sie atmete tief und gleichmäßig. Neben ihr warteten eine Decke und ein Kopfkissen auf ihn. Stachelmann legte sich leise auf seine Seite. Er schloss die Augen. Und wenn es einer von denen in Hollers Akte war? dachte er. Grund genug hatten sie.
»Das Frühstück ist serviert«, sagte sie. Sie stand im Bademantel in der Tür und strahlte ihn an. »Du bist ein Penner, es ist fast Mittag.«
Es dauerte einige Momente, bis Stachelmann bei Sinnen war. Anne hatte die Vorhänge geöffnet, die Sonne schien aufs Fußende des Betts. Ein Sonnenstrahl glitzerte in Annes Haar, sie war unfrisiert. Es kehrte zurück, was er in der Nacht verloren hatte. Er war dicht dran, er spürte es. So war es immer, wenn er vor der Lösung eines der kleinen Geheimnisse der Geschichte stand, auch wenn es vielleicht nur ein Geheimnis für ihn war. Es war der Reiz von Quellen, die man als erster Archivnutzer sah. Er fühlte die Spannung in seinem Bauch. Er hatte gut geschlafen, der Schmerz hatte sich zurückgezogen in den Rücken.
Er stand auf und folgte Anne in die Küche. Auf dem Tisch lag ein Zettel, darauf stand die Adresse der jüdischen Gemeinde, Schäferkampsallee 27. Anne hatte sie herausgesucht aus dem Telefonbuch und auch schon die Sprechzeiten erfragt. Nachdem sie gegessen hatten, kleideten sie sich an und verließen die Wohnung. »Hast du die Namen aufgeschrieben?«, fragte Anne.
»Brauch ich nicht, die habe ich im Kopf.«
Sie fuhren mit der U-Bahn und stiegen am Schlump aus. Eine Dame mit grauen Haaren und silbern eingefasstem Brillengestell begrüßte sie freundlich. Stachelmann stellte Anne und sich vor als Historiker, die nach dem Verbleib von Hamburger Juden im Dritten Reich forschten. Die Dame fragte nicht nach.
Stachelmann sagte: »Ich hoffe, die Namen sagen Ihnen etwas. Fangen wir mit diesen an: Goldblum, Mahler, Rosenzweig, Kohn.«
Die Dame öffnete eine Karteischublade in einem Schrank und blätterte. »Josef Goldblum lebt, das weiß ich, vor kurzem hat jemand nach ihm gefragt. Herr Goldblum wohnt in einem Altenheim, es hat einen albernen Namen, Spätes Glück. Gefragt nach ihm hat Herr Kohn. Aus diesen beiden Familien hat wenigstens jeweils einer überlebt.« Sie sagte es mit ruhiger Stimme. Es klang traurig.
»Die anderen sind in den Osten deportiert worden, Theresienstadt, dann Treblinka oder Auschwitz. Josef Goldblum hatte sich versteckt, bis die Briten die Stadt besetzten. Er war fast noch ein Kind, keine Ahnung, wie er sich durchgeschlagen hat. Er hat niemandem etwas gesagt davon. Leopold Kohn war in England gewesen, seit 1939 mit der Kinderverschickung. Er ist Anfang fünfzig zurückgekommen und hat sich kaum bei uns blicken lassen. Manche interessieren sich eben nicht für unsere Belange.«
Sie war ein wenig eingeschnappt. »Manche haben sogar ihren Glauben verloren.« Sie schaute erst Stachelmann, dann Anne an. »Warum erzähle ich das?« Sie ließ die Frage unbeantwortet. Sie wandte sich wieder der Kartei zu. »Rosenzweig, nein, dieser Name ist hier nicht vermerkt. Das kann alles Mögliche heißen. Wahrscheinlich gibt es keinen mehr aus dieser Familie.« Sie blätterte weiter. »Ja, und Mahler, den Namen gab es öfter. Ich kenne ein Ehepaar, aber die sind vor einigen Jahren zugezogen. Aus Israel zurückgekehrt. Manche halten es nicht aus in der Fremde.« Die Frau hielt inne. »Eigentlich darf ich Ihnen das nicht erzählen, jedenfalls nicht alles. Aber Sie brauchen es ja für eine wissenschaftliche Arbeit. Wissen Sie,
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