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Mann Ohne Makel

Titel: Mann Ohne Makel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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Kopierer zu legen. Und jetzt suchten sie nach zwei Briefen.
    »Das ist interessant«, sagte Anne. »Hier streiten sich SA und SS, wer KZ-Häftlinge bewachen darf.«
    »Leg den Ordner beiseite, wenn du fertig bist, und such dir raus, was du brauchen kannst.«
    Sie blätterten, ohne Pohls Akten zu finden.
    »Ich verstehe das nicht. Es wird keiner hier gewesen sein und die Papiere geklaut haben.«
    »Dann hätte er den ganzen Stapel mitgehen lassen. Du glaubst doch selbst nicht, dass ein Fremder hier stundenlang herumwühlt.«
    Stachelmann nahm einen halben Stapel vom Tisch und legte ihn auf den Boden. Wie lange habe ich mich gedrückt, den Berg der Schande abzuarbeiten. Nun nehme ich ihn auseinander, weil ich zwei Briefe nicht finde, die ich hier versteckt habe.
    »Stapoleitstelle Hamburg« stand auf dem Ordner, der jetzt obenauf lag auf dem Tisch. Er war grün. Er nahm ihn mit zum Schreibtisch. Anne blickte auf. »Bist du auch noch farbenblind?«
    Er schüttelte den Kopf. »Schau mal«, sagte er. Er zeigte ihr den Aktendeckel.
    »Stapoleitstelle Hamburg«, las sie. Sie blickte ihn neugierig an. »Das sind offenbar Akten der Hamburger Gestapo. Und?«
    »Warte mal, könnte doch sein, dass wir unsere Freunde in so einer Akte wieder finden.«
    »Und du hast gar nicht mehr gewusst, dass du diese Akten hast.«
    Er schüttelte den Kopf. »So im Allgemeinen schon.«
    »Und wie lange hast du da nicht mehr hineingeschaut?«
    »Lange, viel zu lange.«
    Sie blickte ihn an, als wollte sie etwas fragen. Aber sie schwieg. Sie zog Aktenordner aus den Stapeln und legte sie auf neue Stapel auf dem Fußboden.
    »Was machst du denn da?«, fragte er.
    »Ich sortiere den Kram grob nach Überschriften. Immerhin haben Herr Doktor auf den Aktendeckeln Notizen verewigt. Aus denen soll wohl hervorgehen, was drin ist in den Ordnern.« Sie hielt eine Akte hoch. »Hier ist der dritte Ordner mit Akten der Hamburger Gestapo. Wenn denn stimmt, was auf dem Deckel steht.«
    »Gib her«, sagte er.
    Sie gab ihm die Akte. »Ich dachte, wir suchen Pohls Liebesbriefe.«
    »Die können in jedem Ordner stecken.« Der Rücken schmerzte, das Sitzen bekam ihm nicht. Aber die Schwäche war weg, als hätte das Rheuma ihm nie die Kraft aus dem Körper gezogen.
    »Dann bist du also doch farbenblind.«
    »Quatsch, ich habe gedacht, ich hätte sie in einen blauen Ordner gepackt.«
    »Dann eben senil. Ich hab mal irgendwo gelesen, die Opas vom SED-Politbüro hätten Geriatrica geschluckt, um fit zu bleiben. Alt sind sie immerhin geworden. Vielleicht solltest du es mal mit so was versuchen. Auf ein, zwei Tabletten mehr am Tag kommt’s ja nicht an.«
    Er stöhnte laut auf. »Da hab ich mir eine angelacht!«
    »Tja, Pech gehabt.«
    Er stand auf, ging ein paar Schritte hin und her, dann setzte er sich wieder und öffnete die Akte, die Anne ihm gegeben hatte. Es handelte sich um Gestapo-interne Vorgänge, Beförderungen, Rügen, Beschwerden, Dienstpläne, Stellenbesetzungspläne. Er blätterte die Seiten schnell durch. Irgendetwas hatte ihn irritiert. Er blätterte zurück. Ein Organigramm. Mit feinem schwarzen Stift waren Kästchen gezeichnet, in jedem stand ein Name. Stand: 16. April 1941. Stellenplan Stapoleitstelle Hamburg. Er las die Namen: Grothe, Prugate, Fleischer, Meier, Meiser. Oben im Organigramm stand Sdf. Holler. Die anderen Namen sagten ihm nichts.
    Er las die Namen laut vor.
    Sie schaute ihn an mit großen Augen. »Du hattest es geahnt.«
    »Ja. Aber es passiert ja nicht alle Tage, dass eine Ahnung die Wirklichkeit genau trifft.«
    »Wo ist Enheim?«
    »Der war nicht bei der SS oder der Gestapo, der war bei der Gauleitung. Aber er hatte was mit der SS-Mafia zu tun, kein Zweifel. Und sie hatten einen im Finanzamt sitzen, der ihnen half.« Das Bild der Verschwörung stand ihm vor den Augen. Er hatte keine Beweise, aber ihm fiel nur eine Möglichkeit ein, wie die Puzzlesteine zusammenpassten. Natürlich sah er nicht das ganze Bild, nur einen Ausschnitt.
    »Aber das alles löst die Hauptfrage nicht: Wer hat wen warum ermordet? Ich bin zwar kein Staatsanwalt, aber was wir zu wissen glauben, ist rechtlich nichts wert. Wir wissen nur, dass Leute einer Dienststelle sich zusammengetan haben, um sich an Juden zu bereichern. Das entnehme ich jedenfalls den Kopien, die ich in Berlin aufgetrieben habe und die hier irgendwo drinstecken, und dem Dienststellenorganigramm. Oder sagen wir es mal so, ich glaube, dass es so ist. Das ist nicht bewiesen und längst verjährt,

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