Mann Ohne Makel
»Wir müssen los«, sagte sie.
***
Sie hatten die Akten im Dienstzimmer eines Kollegen gestapelt, der krank war. Es war nicht sicher, ob oder wann er wieder zurückkommen würde. Taut hatte zwei Wirtschaftsermittler herbeigeschafft. Das war nicht einfach gewesen, der Kriminalrat musste helfen. Wie Taut es gelungen war, den Kriminalrat dazu zu bringen, würde sein Geheimnis bleiben. Der Kriminalrat wusste, dass der Präsident Holler gut kannte. Er hatte deswegen wohl beim Präsidenten vorgefühlt, und der wollte sich wahrscheinlich nicht nachsagen lassen, er fördere die Ermittlungen nicht nach Kräften, nachdem er seine Leute zusammengestaucht hatte. Taut hatte offenbar den richtigen Augenblick abgepasst. Außerdem, wie würde die Innenbehörde in den kommenden Wahlen dastehen, wenn gemunkelt würde, der Polizeipräsident habe seine Hand über einen Verdächtigen gehalten? So gesehen, müssten jedes Jahr Bürgerschaftswahlen stattfinden, dachte Ossi. Dann käme man weiter.
Während die Wirtschaftsermittler einen ersten Blick in Hollers Bücher warfen, saßen die Mitarbeiter der Rufbereitschaft in Tauts Büro. Sie fassten ihre Ergebnisse zusammen. Es waren wenige, und ein Zusammenhang war nicht erkennbar. Sie hatten Fotos von Ulrike und dem Mercedes in Zeitungen und im Regionalprogramm des Fernsehens zeigen lassen. Viele Anrufe, meistens Spinner. Einige hatten Ulrike gesehen, als sie schon längst tot war.
Ossi hatte den Artikel über die Totenkopfverbände und Ulrikes Skizze kopiert und an die Kollegen verteilt. Kamm sagte nichts, Kurz drehte die Skizze nach allen Seiten und brummte: »Daraus werde einer schlau. Stimmt, sieht aus wie ein Stammbaum. Aber was soll es bringen, ist doch kein Problem, an den richtigen Stellen die richtigen Namen einzutragen? Und dann?«
Taut sagte: »Mach das mal.«
»Was?«
»Na, die Namen eintragen.«
Ossi sagte: »Nachher hat das alles mit unserem Fall nichts zu tun, und wir laufen in den Dschungel. Wahrscheinlich ist alles ganz anders.«
»Hast du was Besseres?«, fragte Taut.
Ossi schüttelte den Kopf.
»Und was sagt dein Historiker?«
»Den treffe ich heute Abend.«
Diesmal saß Ossi schon an einem Tisch, als Stachelmann und Anne das Tokaja betraten. Stachelmann stellte Ossi Anne vor. Statt einer Begründung sagte er: »Eine Kollegin.« Es war ihm unangenehm, als er den Anflug eines Grinsens in Ossis Gesicht sah.
Die Schwarze erschien. Mürrisch nahm sie die Bestellungen entgegen. Anne und Stachelmann bestellten Gemüsepfanne, überbacken mit Käse, und Rotwein, Ossi ein Bier und einen Doppelkorn. »Mir ist der Appetit vergangen«, sagte Ossi.
»Mir auch«, sagte Stachelmann. »Aber Verhungern macht einen auch nicht glücklich.«
Ossi berichtete von den Ereignissen seit ihrem letzten Treffen.
»Ich habe von deiner Kollegin gelesen«, sagte Stachelmann. »Du bist sicher, dass ihr Tod etwas mit dem Holler-Fall zu tun hat?«
»Nein«, erwiderte Ossi. »Offen gesagt, wir tappen im Dunkeln. Das habe ich natürlich nie gesagt und will das auch nicht in der Zeitung lesen.«
»Ich habe verstanden«, sagte Anne. Sie klang nicht beleidigt. »Ich schwöre, zu schweigen wie ein Grab. Heiliges Indianerehrenwort.«
Ossi verzog keine Miene. Er sah müde aus. Er griff in die Innentasche seines Jacketts und zog ein Papier heraus.
»Ich habe einen Artikel in ihrer Wohnung gefunden. Hat sie aus dem Spiegel ausgeschnitten. Vielleicht hat es was mit dem Fall zu tun, wahrscheinlich nicht. Aber wenn man nichts weiß, ist Spekulation fast schon eine Spur.« Er schob Stachelmann den Artikel hin. Der überflog ihn und gab ihn Anne.
»Warum schneidet jemand so einen Artikel aus?«, fragte Anne. »Hat sich Ihre Kollegin für Geschichte interessiert?«
»Nicht dass ich wüsste. Dann hätte sie doch mal was darüber gesagt. Sie las gerne, aber Romane, Zeitgenössisches. Hielt sich an die Empfehlungen im Literarischen Quartett.«
»Eine literaturbegeisterte Polizistin.« Anne sagte es mit einem Staunen in der Stimme.
»Gucken Sie nicht so viele Krimis«, sagte Ossi. Er wandte sich an Stachelmann: »Und wer sind die Totenkopfverbände?«
»Das waren die Wachmannschaften der KZs. Teile von ihnen kämpften als Einheiten der Waffen-SS auch an der Front. Ihr Chef hieß Eicke, einer der übelsten Totschläger in Himmlers Reich. Ist 1943 gefallen. Deswegen konnten die Alliierten ihn nicht aufhängen. Er hätte zu den Hauptkriegsverbrechern gezählt.« Anne leierte es sachlich herunter, bevor
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