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Mann Ohne Makel

Titel: Mann Ohne Makel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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recht.«
    Die Schwarze brachte Ossis Getränke.
    »Ihr müsst die Familie durchleuchten bis ins letzte Glied.«
    »Oho, Herr Doktor werden biblisch«, sagte Anne.
    »Das müssen wir wohl«, sagte Ossi. Er wiegte seinen Kopf, seine Augen richteten sich auf Anne. »Wir haben nichts, gar nichts.«
    »Und was gibt’s im Fall deiner toten Kollegin, mal abgesehen von diesem Artikel?«, fragte Stachelmann »Auch nichts. Wir haben den Fahrer nicht gefunden. Der Besitzer war zur Tatzeit nachweislich in den USA. Der Wagen wurde geknackt und kurzgeschlossen. Der oder die Täter haben sogar die Alarmanlage ausgeschaltet. Waren Elektronikprofis.«
    Der Spielautomat dödelte.
    Stachelmann schaute sich im Lokal um, während Ossi auf Anne einredete. Wortfetzen entnahm er, dass Ossi mit seinem Job prahlte. Er überlegte, was er mit den Hollers und Ossis Kollegin zu tun hatte. Nichts, gar nichts. Es war idiotisch, wenn er sich auch noch darum kümmerte. Er hatte genug zu tun. Oder half die Polizei ihm etwa bei seiner Habilitation?
    Die Schwarze erschien. Sie stellte die leeren Teller und Gläser auf ein Tablett und blickte in die Runde: »Darf es noch was sein?« Es klang unfreundlich. Keiner bestellte etwas. »Die Rechnung bitte«, sagte Stachelmann. Die Schwarze drehte sich um und ging.
    Sie verabschiedeten sich vor der Tür. »Bringst du mich noch nach Hause, ich habe Angst vor Räubern«, sagte Anne.
    »Da wäre ich als Polizist aber besser geeignet«, sagte Ossi. Seine Zunge war schwer.
    »Bestimmt, aber heute Abend nicht«, sagte Anne.
    »Außerdem brauche ich eher geistigen Beistand, nachdem ich so tief eingetaucht bin in die Welt des Verbrechens. Mir gruselt.« Sie tat so, als zitterte sie.
    Ossi guckte betrübt, als er ging.
    Anne hakte sich bei Stachelmann ein. So nah war sie ihm nie gewesen. Feine Tropfen trafen sein Gesicht, es nieselte noch. Nach einer Weile sagte Anne: »Der ist ja eigentlich ganz nett, hat aber einen schrecklichen Beruf.«
    »Ich weiß nicht«, sagte Stachelmann, »manchmal mag ich ihn, manchmal finde ich ihn penetrant.«
    Anne drehte ihm das Gesicht zu und lächelte. »Gewiss«, sagte sie. »So kann man das sehen.«
    Sie fühlte sich leicht an. Er hätte ewig so gehen können. Er bedauerte es, als sie vor ihrem Hauseingang standen. Sie ging zur Haustür, drehte sich um und fragte: »Kann ich dir noch etwas anbieten?«
    Er spürte ein Zittern in der Magengrube. »Der letzte Zug fährt bald.«
    »Ja«, sagte sie.
    Er stand eine Weile da, dann ging er auf sie zu und streckte ihr die Hand entgegen. Sie nahm seine Hand, zog ihn zu sich, umarmte ihn kurz und küsste ihn auf den Mund, leicht, fast flüchtig. »Dann musst du dich beeilen«, sagte sie. Sie lächelte.
    »Sonst muss ich auf einer Parkbank übernachten«, sagte er. Selten hatte er sich so unsicher gefühlt. Er kam sich dumm vor. So dumm.
    »Bei dem Wetter würdest du glatt einen Schnupfen kriegen.«
    »Bis morgen«, sagte er.
    »Bis morgen, verpass deinen Zug nicht.«
    Er saß niedergeschlagen im Zug und schaute aus dem Fenster. Er sah sein Gesicht. Es erschien ihm hässlich, stumpf. Er begriff nicht, was er erlebt hatte. Er begriff sich nicht. Anne hatte ihn eingeladen, nur ein Trottel konnte es nicht verstehen. Er hatte Angst, sie zu enttäuschen.
    Du bist krank, sagte er im Selbstgespräch. Manchmal liegst du auf dem Bett, weil du nicht laufen kannst und dich fühlst, als hätte dir jemand Valium verpasst.
    Na und, du hättest trotzdem mit zu ihr gehen sollen.
    Aber wenn sie erfährt, dass du krank bist, wird sie erst Mitleid haben und dich dann fortschicken.
    Vielleicht, aber du hättest es besser versucht, als den Fehlschlag vorwegzunehmen.
    Du kannst aber nur noch allein leben. Du lebst schon lang allein und hast es dir eingerichtet. Du bist zufrieden.
    Nein, du bist unausgeglichen und feige. Du stehst am Abgrund. Du wirst nie Professor. Du hast vor allem und jedem Angst, traust dir nichts zu. Du bist reif für die Klapsmühle.
    In der Nacht rissen ihn die Schmerzen aus dem Schlaf. Der Brustkorb war wie ein Stahlkorsett, das Atmen tat weh. Er spürte jedes Gelenk, die großen und die kleinen. Er stand auf, ging ins Bad und schluckte fünf Tabletten. Im Wohnzimmer legte er Mozarts 23. Klavierkonzert ein. Er setzte sich aufs Sofa. Als die Musik einsetzte, fühlte er die Tränen.
    ***
    Der Junge hatte gestrahlt, als er ihm die Lokomotive zurückgab. Sie lief, als wäre sie neu. Der alte Mann ging ins Schlafzimmer und legte sich aufs Bett. Er

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