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Mann Ohne Makel

Titel: Mann Ohne Makel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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Enttäuschung riesig. Manche verfallen in Depressionen, andere bringen sich um, wieder andere entwickeln Hass und versuchen dem zu schaden, der sie zurückweist.« Es klang so, als hätte er gesagt: In Ihrer Haut möchte ich aber nicht stecken. »Wollen Sie sie sehen?«
    »Nein«, sagte Stachelmann.
    »Es wäre aber besser«, sagte Möller. »Auf jeden Fall für sie.«
    Stachelmann spürte ein Würgen im Hals. Er bekam Angst. Er wollte nichts damit zu tun haben. Er war nicht schuldig, und doch zog ihn Alicia in eine Sache hinein, die ihn anwiderte. Das hatte sie nun geschafft. Nun war er verantwortlich und wollte doch nichts mehr, als sie nie wieder zu sehen.
    Dr. Möller zeigte ihm den Weg zu ihrem Krankenzimmer. Nach einem Zögern klopfte Stachelmann und drückte die Klinke. Es gab nur ein Bett im Zimmer. Sie lag da und sah aus wie ein Engel. Weißes Gesicht, lange blonde Haare, sie musste sich gerade gekämmt haben. Ihre Augen waren geschlossen. Stachelmann schaute sie an und wusste, sie schlief nicht. Ihr Gesicht zeigte Anspannung. Sie öffnete die Augen und sagte: »Komm, setz dich zu mir.« Sie klang wach. Ihre Handfläche schlug auf die Matratze. Stachelmann nahm sich einen Stuhl, der stand an einem Tisch, darauf ein Blumenstrauß und eine Schale mit Obst. Er rückte den Stuhl nahe an die Seite ihres Betts.
    »Warum haben Sie das getan?«, fragte Stachelmann.
    »Nein, lass uns über etwas anderes sprechen.«
    Schweigen.
    »Wie war es heute im Seminar? Hast du gemerkt, dass ich gefehlt habe? Es war das erste Mal.«
    »Ja.«
    »Rück ein bisschen näher.«
    Stachelmann schob seinen Stuhl einige Zentimeter näher ans Bett. Sie streckte ihre Hand in seine Richtung.
    Er zögerte, dann griff er sie. Er drückte sie und ließ sie wieder los. Er legte seine Hand auf sein Knie, dann auf den Oberschenkel.
    »Es ist gut, dass du da bist.«
    »Wie lange bleiben Sie im Krankenhaus?«
    »Ich weiß nicht, diese Woche bestimmt noch. Und du musst mich jeden Tag besuchen.«
    Er antwortete nicht.
    »Versprichst du das?« Eine sanfte Stimme mit energischem Unterton.
    »Ja«, sagte er. »Aber jetzt muss ich gehen.«
    »Schon?«
    »Ja, die Arbeit.«
    »Dann gib mir einen Kuss und geh.«
    Stachelmann beugte sich über sie, roch ihr Parfüm, leicht, ein bisschen aufregend, und küsste sie flüchtig auf die Wange. Sie lächelte. Er verließ sie, ohne sich umzudrehen.
    Er ging den Weg zum Von-Melle-Park zu Fuß zurück. Der Nieselregen störte ihn nicht, er passte zu seiner Stimmung. Wie sollte er sie jemals loswerden, ohne dass sie sich umbrachte?
    Anne erschien um halb acht in seinem Dienstzimmer. Sie setzte sich ihm gegenüber und schaute ihn an. »Mein Gott, wie siehst du denn aus?«
    Er zuckte mit den Achseln, fühlte sich wie ein Trauerkloß. Seit er von Alicia zurückgekehrt war, hatte er an seinem Schreibtisch gesessen, ohne etwas zu tun. Er erzählte Anne, was geschehen war.
    Danach sprachen sie lange nicht.
    »Du kannst nichts dafür«, sagte Anne. »Du hast ihr keine Hoffnungen gemacht.« War es eine Feststellung, war es eine Frage?
    »Nie«, sagte Stachelmann. »Eher im Gegenteil, wenn es so was gibt.«
    »Vielleicht hat gerade deine Zurückweisung sie glauben lassen, dass du gewissermaßen deinen wahren Willen unterdrückst. Vielleicht gab es in ihrer Kindheit ein Beispiel dafür, dass ein besonders starkes Nein nur ein Ja versteckt. Dass man nachbohren muss, um das Ja zutage zu fördern.«
    »Das ist so eine Mischung aus Bergbau und Amateurpsychologie«, sagte Stachelmann. Seine Knie schmerzten. Er war schon müde gewesen, als er am Morgen ans Seminar kam. In der Nacht war er in seiner Wohnung herumgelaufen, hatte sich hingelegt, war wieder aufgestanden. Alles tat ihm weh. Schließlichschluckte er eine Überdosis Schmerztabletten, um wenigstens zwei, drei Stunden liegen zu können.
    »Entschuldigung«, sagte Anne. Es klang eingeschnappt.
    »Da braucht man kein Psychologe zu sein. Ich hatte eine Freundin in meiner Schulzeit, in deren Familie ging es nur so zu. Und mit Bergbau hatte ich nie was zu tun. Da schluckt man zu viel Kohlenstaub.«
    Stachelmann war ihr dankbar. Sie nahm ihm seine Laune nicht krumm und mühte sich, ihn aufzumuntern.
    »Die werde ich nie wieder los«, sagte er leise.
    »Ich kenne ein paar Männer, die wären gerne in deiner Notlage. Sie ist bildhübsch und nicht dumm.«
    »Vielleicht setzt du mal so einen Mann auf sie an. Du scheinst dich ja auszukennen.«
    Anne lachte. Sie blickte auf ihre Uhr.

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