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Mann Ohne Makel

Titel: Mann Ohne Makel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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Herr Holler. Die Liste stammt von ihm.«
    Grothe las die Liste noch einmal, hinter der Brille kniff er die Augen zusammen. »Ich hätte längst zum Augenarzt gehen müssen«, sagte er. »Aber es lohnt sich nicht mehr. Genauso ist es mit meinem Gedächtnis. Man kennt ja seine Kollegen, und auch wenn man nicht mehr im Geschäft ist, kriegt man doch einiges mit. Natürlich hat es sich herumgesprochen, wer alles verkauft hat an Holler. Ich kann mich daran noch erinnern. Am meisten gewundert hat es mich bei Enheim. Sein Laden brummte, mehr als ich mir jemals für mich hätte erträumen dürfen. Der hatte sich auf Verwaltungsbauten spezialisiert und diesen Markt praktisch beherrscht. Und dann, plötzlich, hat Holler ihn aufgekauft. Es muss ein Vermögen gekostet haben.«
    Grothe schaute noch einmal auf die Liste. Er schüttelte den Kopf. »Der Name fehlt. So schlecht ist mein Gedächtnis nun doch nicht.«
    »Welcher Name?«
    »Na, der von Enheim.«
    ***
    Sie saßen windgeschützt im Garten des Restaurants, der Abend war warm. Das Essen war gut gewesen.
    Anne schaute auf die Uhr. »Geisterstunde.« Sie überlegte kurz, dann sagte sie: »Scheiße, der letzte Zug ist weg.«
    Stachelmann staunte, sie klang trotzdem ruhig. Er hätte sich mehr erschrocken. »Ich fahre dich nach Hamburg«, sagte er.
    »Du bist verrückt. Eine Stunde hin, eine Stunde zurück macht zwei Stunden. Und morgen hast du Seminar.«
    »Am Nachmittag. Das ist egal.«
    »Nein«, sagte Anne. »Wir trinken noch einen Türkenchianti, und dann räumst du dein Sofa auf für mich. Du hast doch ein Sofa?«
    »Einen Zweisitzer.«
    »So lang bin ich nicht.« Sie blickte ihm lächelnd in die Augen. »Schon lange keinen Damenbesuch mehr gehabt«, sagte sie. Es war keine Frage. Sie sprach ein wenig ungenau, zwei Gläser Wein. Aber Stachelmann zweifelte nicht, sie sagte, was sie sagen wollte.
    »Es ist nicht aufgeräumt.«
    »Das ist es bei mir nie, natürlich außer wenn ich hohen Besuch bekomme, von Herrn Professor in spe Josef Maria Stachelmann zum Beispiel.«
    »Hör auf.«
    »Du weißt gar nicht, wie gut du bist«, sagte sie. »Alle Kollegen haben großen Respekt vor dir. Sie schwärmen von deiner Doktorarbeit. Sind schon gespannt auf die Habil. Der Sagenhafte sagte noch letzte Woche – sie ahmte Gestik und Sprache nach. Der Mann hat mal wieder Schwierigkeiten mit dem Anlasser. Aber wenn der Motor mal spotzt, dann räumt der Stachelmann alles ab, Josef hin, Maria her. Und ganz am Ende schickt er mich aufs Altenteil. Das, liebe Kollegin und liebe Kollegen, ist die Geschichtsschreibung von morgen, Politik, Wirtschaft, Militär, Technik, Kultur. Da gibt’s nicht mehr nur Karten und Kerle, die Divisionen verschieben, nicht mehr nur das Ränkespiel der Papen und Meißner, nicht mehr nur Verträge und Vertragsbrüche, die Haupt-und Staatsaktionen. Wenn der Stachelmann etwas analysiert, betracht er es von allen Seiten. Marx, Daimler, Weber, Keynes und Rilke, und meinetwegen auch Benn. Und die moderne Soziologie, Psychologie. Und er setzt die Proportionen richtig, meistens jedenfalls …«
    »Lass sein«, sagte er. »Nett, wie du mich aufbaust.«
    »Ich dich aufbauen? Da verwechselst du was. Die Einzige, die aufgebaut werden muss, bin ich. Rat mal, warum Bohming mich auf dich angesetzt hat. Damit du mir beibringst, wie es geht mit der Geschichte. Ich habe ihm nichts gesagt von meiner Angst vor den Akten. Ich fürchte, er ahnt was.«
    Stachelmann fühlte sich wie einer, der an der falschen Haltestelle auf seinen Bus wartete. Ein Bus nach dem anderen fährt vorbei, es ist immer der falsche, die Zeit verrinnt, bis der letzte fährt. Er verstand nicht, was Anne meinte. Sie war offenbar angetrunken. Was würde geschehen, wenn sie noch ein Glas trank?
    Der Kellner kam mit dem Wein. Er brachte auch ein Glas für Stachelmann mit, obwohl er keines bestellt hatte.
    »Sind beide vom Haus«, sagte der Kellner.
    Auf dem Weg zu seiner Wohnung hakte sie sich bei ihm ein. Wenn sie etwas sagte, legte sie ihren Kopf an seine Schulter. Sie gingen eine Viertelstunde, trafen wenige Passanten, zwei, drei Taxis. An der Untertrave warteten zwei Huren auf Freier. Er fand seinen Schlüssel in der Innentasche seiner Jacke und schloss die Wohnung auf. »Ich habe sogar eine Reservezahnbürste für dich«, sagte er.
    Sie ging ins Bad, er setzte sich ins Wohnzimmer. Er legte Musik auf, Mozarts 23. Klavierkonzert.
    Sie kam aus dem Bad und setzte sich neben ihn. Ihre Knie berührten einander. »Mozart

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