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Mann Ohne Makel

Titel: Mann Ohne Makel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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ist schön«, sagte sie.
    Er saß und genoss es. Nachdem sie eine Weile schweigend zugehört hatten, stand er auf.»Ich mach mal das Bett für dich fertig. Du schläfst im Schlafzimmer, ich hier.«
    Sie schüttelte den Kopf und schaute ihn an, »Doch«, sagte er. Er ging ins Schlafzimmer und bezog die Decke. Aus dem Schrank holte er ein Bettlaken und legte es auf die Matratze. Er hatte die Tür nur angelehnt. Sie ging auf, Anne kam auf ihn zu und umarmte ihn. In den Händen hielt er das Kopfkissen. »Ich bin noch nicht fertig«, sagte er.
    Sie streifte sich die Schuhe ab und legte sich auf die Matratze. »So ist es schön.« Sie schloss die Augen, kicherte leise. »Wurde Zeit«, flüsterte sie. »Wurde Zeit, Josef Maria.«
    Er schaute sie an und schaltete das Licht aus. Ein Lichtschein aus dem Flur fiel auf ihren Kopf. Sie ist viel zu schön für dich, dachte Stachelmann, und viel zu klug, als dass sie sich mit einem Versager abgeben würde. Dann merkte er, dass sie eingeschlafen war. Er legte die Decke über sie und verließ leise das Zimmer. An der Tür drehte er sich um und betrachtete sie.
    ***
    Er erinnerte sich. Es war kurz nach seiner Rückkehr aus England. Als er achtzehn Jahre alt geworden war, entschied er sich, nach Deutschland zu fahren. Er wusste nicht, warum. Er konnte sich an nichts erinnern. Die Gesichter seiner Eltern erschienen ihm wie Schemen im Nebel. Er wusste nicht mehr, wie sie waren. Dies schmerzte ihn mehr als der Verlust. Seine Pflegeeltern weigerten sich zunächst, ihn gehen zu lassen. Er hatte ausgelernt und würde Geld verdienen. Er stritt sich ein halbes Jahr mit ihnen. Er kündigte bei seinem Lehrherrn und bewarb sich nicht um Arbeit. Er musste nach Deutschland zurück, obwohl seine Pflegeeltern ihm berichteten, dass Deutschland zerstört sei. Das schrieben auch die Zeitungen. Einmal traf Jack einen Soldaten, der in Hamburg gewesen war. Der Soldat erzählte von den Bombenangriffen, Hamburg sei stones and dust. Er könne sich nicht vorstellen, dass es jemals wieder aufgebaut würde.
    Der alte Mann saß am Alsterufer und fütterte die Enten. Er hatte gelesen, dies schade den Enten und dem Wasser, es war ihm gleichgültig.
    Er ging zur U-Bahn-Station Klosterstern und nahm eine Bahn in Richtung Kellinghusenstraße. Dort stieg er um in die U 3 nach Barmbek. Manchmal glaubte er, jeden U-Bahn-Wagen Hamburgs zu kennen. Ein- oder zweimal in der Woche fuhr er diese Strecke. In Barmbek stieg er aus, ging in die Drosselstraße, dann in die Bramfelder Straße. Er musste lange warten, bis die Fußgängerampel auf Grün sprang. Schwere Lastwagen wälzten sich auf vier Spuren zwischen den Personenwagen in die Stadt und aus der Stadt hinaus. Als er die Straße überquert hatte, lief er die Wachtelstraße hinunter, bis sie sich mit der Adlerstraße kreuzte. Er bog links in die Adlerstraße ein, bis er vor dem Haus Nummer 17 stand. Hier hatte er gewohnt, als er Kind war. Er hätte das Haus damals nicht gefunden ohne die Hilfe eines alten Adressbuchs. Er hatte alle Adressen aufgesucht, in denen dereinst Familien mit dem Namen Kohn wohnten. In keinem Haus lebten heute noch Kohns. Als er aber vor dem Haus seiner Kindheit stand, erkannte er es sofort wieder. Die Häuser in der Straße waren zum Teil neu. Aber das Haus, in dem er mit seinen Eltern und seiner Schwester im zweiten Stock gelebt hatte, war verschont geblieben von den Bomben und dem Neubauwahn der Nachkriegszeit. Es waren wenige Erinnerungsfetzen, die er behalten hatte. Ein runder Tisch im Wohnzimmer. Ein Bücherregal. Ein rotes Spielzeugauto. Ein Teppich auf dem Boden, rotschwarz und schwer.
    Ich bin verrückt, dachte Leopold Kohn. Ich fahre zu einem Haus, in dem ich vor Jahrzehnten für kurze Zeit wohnte. Es zieht mich hierher, aber was mich herzieht, gibt es seit mehr als einem halben Jahrhundert nicht mehr. Das Rote Kreuz hatte ihm schon kurz nach seiner Rückkehr mitgeteilt, seine Eltern und seine Schwester seien deportiert worden. »Wahrscheinlich nach Treblinka«, hatte der Mann gesagt. Treblinka war der Tod. Er hatte den Mann erst nicht verstanden, konnte kaum ein Wort Deutsch sprechen. Aber was Treblinka hieß, wusste er ohneÜbersetzung. Das hatten ihm Leute der jüdischen Gemeinde gleich nach seiner Ankunft verraten. Kohn hatte wenig gewusst von den Todeslagern und was es hieß, in den Osten geschickt zu werden. Die Leute in der jüdischen Gemeinde hatten ihm gesagt, wer sein Vater war. Ein Makler, ehrlich und nicht sonderlich

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