Mann Ohne Makel
wir ihn aus.«
Ossi hatte nichts gesagt. Wenn es war, wie es schien, dann war Ulrike nicht ermordet worden, sondern Opfer eines besoffenen Autoknackers.
Das würde sich schnell klären. Er aber saß bei Taut, um von seinem Besuch bei Otto Grothe zu berichten, dem ersten Makler auf Hollers Liste.
***
Otto Grothe lebte im ersten Stock eines alten Hauses, zu klein für eine Villa, aber groß genug für die Vermutung, dass es nicht billig war, hier zu wohnen. Grothe empfing Ossi freundlich. Er war ein vornehmer alter Herr. Grothe ging an einem Stock mit einem silbernen Hundekopf als Knauf. Er führte Ossi ins Wohnzimmer und bot ihm einen Platz an. Ossi versank tief in einem Sofa. Alte Möbel, irgendwas zwischen Biedermeier und Jugendstil, dachte Ossi. Aber er verstand nichts davon, er fand die Einrichtung des Zimmers alt und kitschig. Es roch muffig. Im Licht der Sonne sah Ossi eine Staubschicht auf dem Wohnzimmertisch. Die Fenster waren seit Monaten nicht geputzt worden. An den Wänden Regale mit alten Büchern. Ein großes Röhrenradio stand auf einer Kommode. Der Mann lebte nicht in diesem Jahrzehnt.
»Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten?«, fragte Grothe.
»Ich kann aber nicht versprechen, dass er so gut ist wie der meiner Frau.« Ohne eine Antwort abzuwarten, verließ Grothe das Wohnzimmer. Ossi folgte ihm zur Küche. Der Mann setzte einen Kessel Wasser auf den Gasherd und schaltete eine elektrische Kaffeemühle an. Sie klang wie eine Kreissäge. Als der Kaffee gemahlen war, fragte Ossi:
»Wo ist Ihre Frau?«
Grothe zeigte mit dem Finger nach oben. Er sah traurig aus.
»Entschuldigen Sie die Störung«, sagte Ossi.
»Sie stören mich nicht. Wissen Sie, ein allein stehender Greis freut sich über jede Ablenkung.«
»Sie waren einmal Makler?«
Grothes Augen leuchteten. »Ja, bis 1978. Seitdem lebe ich vom Verkauf meiner Firma Grothe & Co.«
»Und wer war Co.?«
Der Kessel pfiff, Grothe goss das Wasser in einen Porzellanfilter. »Der stand nur noch im Namen. Ich hatte die Firma 1952 mit einem Kollegen, Gerhard Klump, gegründet. Der ist leider schon 1963 gestorben. Er war unverheiratet und hatte alle Angehörigen im Krieg verloren. Er hat mir seinen Geschäftsanteil vererbt.«
»Dann waren sie mit ihm auch befreundet«, sagte Ossi.
»Mehr als das«, sagte Grothe. »Er war mein Ein und Alles.« Der alte Mann erschrak, als er Ossis Gesicht sah. Aber er fasste sich gleich wieder. »Er war die Tüchtigkeit und Ehrlichkeit in Person.«
»Und Sie haben die Firma 1978 verkauft.«
»Ja, ich kriegte ein Angebot von Herrn Holler, dem Junior, der alte Holler war ja schon tot. Damals schien es so, dass eine Immobilienkrise aufzog. Die Wiederaufbauphase war vorbei. Es war aber nur eine leichte Abkühlung, wie sich später herausstellte. Jedenfalls war ich froh, dass Herr Holler mir so ein gutes Angebot machte.«
Der Kaffee war fertig, beide gingen zurück ins Wohnzimmer.
Ossi setzte sich aufs Sofa. »Das war geschickt von Herrn Holler.«
»Ja, sonst hätte ich vielleicht gar nicht verkauft. Aber er hat einen guten Preis geboten.«
»Sie haben es nicht bereut, verkauft zu haben?«
»Doch. Ich hätte mir Jahre der Langeweile erspart. Ich habe eserst hinterher bemerkt, dass einem sogar Existenzangst und Ärger fehlen können.«
Ossi lachte leise. »Gut, dass Sie mir das sagen.«
Grothe erwiderte das Lachen. »Sehen Sie, dann hat Ihr Besuch bei mir nicht nur den Sinn gehabt, einem alten Mann die Langeweile zu vertreiben für eine halbe Stunde.«
»Wie gut kennen Sie Herrn Holler?«
Grothe dachte einen Augenblick nach. »Eigentlich kenne ich ihn gar nicht.«
»Aber Sie haben doch an ihn verkauft?«
»Gewiss. Ich habe auch mit Holler gesprochen, mehrere Male. Er war freundlich, geradezu zuvorkommend. Er ist sowieso eine umwerfende Erscheinung, aufregend. Aber vielleicht sehe das nur ich so.«
»Und doch sagen Sie, Sie kennen ihn nicht.«
»Na ja, er kam mir vor wie eine Maske. Vielleicht ist dies das treffende Bild.«
»Eine Maske?«
»Man hätte ihm sagen können, Hamburg brennt nieder. Er hätte weiter gelächelt und den Damen die Tür aufgehalten. Wie sollte man sagen, dass man diesen Mann kennt? Ich habe ihn gesehen, mit ihm gesprochen, mit ihm verhandelt und meine Firma an ihn verkauft. Aber ich kenne ihn nicht.«
»Es macht sie traurig.«
Grothe stand auf, ging zu einem Regal und zog einen in Leder gebundenen Band heraus. Er setzte sich mit dem Band neben Ossi. Er schlug eine der letzten
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