Mann Ohne Makel
erfolgreich, die meisten seiner Kunden waren Juden. Die Leute rieten ihm, für eine Entschädigung zu kämpfen, und halfen ihm, an die richtigen Stellen zu schreiben. Es lag nicht an ihnen, dass es aussichtslos war. Leopold Kohn brauchte lange, um alles verstehen. Aber als er verstanden hatte, was er verstehen musste, begann er nachzudenken, wie er berichtigen konnte, was geschehen war.
X
Nächste Woche begannen die Semesterferien. Er würde Anne abholen, sie würden gemeinsam losfahren. Erst nach Berlin ins Bundesarchiv, dann nach Weimar und Buchenwald. Er hatte zwei Zimmer gebucht im Haus Morgenland, einem kleinen Hotel nahe dem Archiv in Berlin-Lichterfelde. Er war aufgeregt. Er sah sie immer noch auf seinem Bett liegen, ihr Gesicht ruhig, fast ebenmäßig.
Er hatte das Frühstück bereitet. Es fiel ihm nicht schwer aufzustehen, er hatte ohnehin kaum geschlafen. Das Sofa war zu kurz für ihn. Die Schmerzen waren furchtbar. Anne lachte ihn fröhlich an, als sie aus seinem Schlafzimmer kam. »Selten so gut geschlafen«, sagte sie. Dann ging sie ins Bad. Stachelmann hörte die Dusche plätschern, während er den Tee in eine Thermoskanne goss. Als es zu plätschern aufhörte, rief er: »Tee oder Kaffee?«
»Ist mir egal. Ach, doch lieber Kaffee.«
Er setzte Wasser auf und suchte Kanne und Kaffeefilter.
Sie kam mit nassen Haaren, aber angekleidet aus dem Bad. »Ich habe keinen Fön gefunden.«
»So was Luxuriöses besitze ich nicht. Bin schließlich nur ein armer Dozent.«
»Wenn du mehr Damenbesuch hättest, gäbe es hier längst einen.« Sie legte einen abschätzigen Ton auf Damenbesuch.
»Meine Besucherinnen habe alle kurze Haare und sind nicht so eitel wie du«, sagte er. Er erschrak über sich selbst.
Sie grinste, schaute verunsichert. »Wie schade, dass ich deinen Geschmack nicht treffe.«
»So schlimm ist es nun auch wieder nicht. Wie oft muss man Kompromisse machen im Leben.«
Sie setzten sich gegenüber an den kleinen Tisch in der Küche. Auf einer Ecke lagen die Lübecker Nachrichten.
Stachelmann konnte nicht frühstücken, ohne Zeitung zu lesen. Aber er traute sich nicht, die Zeitung aufgeschlagen neben seinen Frühstücksteller zu legen.
»Du erlaubst?« Anne nahm die Zeitung. Sie blätterte.
»So ein Käseblatt in der Weltkulturstadt Lübeck«, sagte sie.
Nach dem Frühstück fuhren sie zusammen nach Hamburg. Anne verabschiedete sich in der Uni von ihm. Sie wollte nach Hause gehen. »Schon mal ein paar Sachen packen für unsere große Reise«, sagte sie. Sie lächelte.
Stachelmann setzte sich in sein Dienstzimmer und betrachtete die Post. Sie interessierte ihn nicht. Ein Gedanke hatte sich gemeldet, er hatte ihn unterdrückt, aber er kehrte zurück, stärker als vorher. Er musste mit seinem Vater sprechen, bald. Unruhe erfasste ihn.
***
Er hatte das schwammige Gesicht eines Säufers. Der Mann kratzte sich am Kopf. Er hatte schwarze, klebrige Haare, sie ließen die Ohren frei und fielen strähnig über den Kragen. Der Mann pulte mit dem kleinen Finger etwas aus seinen Zähnen, rollte es zwischen Zeigefinger und Daumen und schnalzte es dann auf den Boden. Er trug eine nietenbeschlagene schwarze Lederjacke und eine Jeans, am Hals hing eine schwere goldene Kette. Er roch nach Bier und Schnaps. Ossi ekelte sich vor dem Mann, der sich in seinem Zimmer vor dem Schreibtisch auf dem Stuhl lümmelte. In einer Ecke saß ein uniformierter Polizist und schaute zu.
»Sie heißen Oliver Stroh und klauen Autos«, sagte Ossi.
Der Mann hob den Kopf. In derbem Hamburger Platt erwiderte er: »Ich heiße Oliver Stroh und trinke manchmal zu viel.«
»Sie haben am 10. Juli, zwischen neunzehn und zweiundzwanzig Uhr in der Garage in der Steinstraße einen schwarzen Mercedes vom Typ 260 E aufgebrochen und entwendet«, sagte Ossi.
»Ich habe am 10. Juli, ab dem späten Nachmittag einen Umzug gemacht.«
»Umzug? Wohin?«
Stroh lachte. »Ich bin auf St. Pauli von Kneipe zu Kneipe gezogen. Im La Paloma fing es an, und wenn ich mich richtig erinnere, hörte mein Umzug im Kaiserkeller auf. Wenn ich mich richtig erinnere.«
»Machen Sie das jeden Tag?«
»Bin ich Millionär?«
»Von was leben Sie?«
»Von der Stütze und von Zuwendungen.« Er sprach Zuwendungen hochdeutsch aus, als hätte er das Wort irgendwo aufgeschnappt.
»Was für Zuwendungen?«
»Das, was mir freundliche Menschen geben.«
»Sie betteln also.«
»Wenn du es so nennen willst.«
»Duzen Sie mich nicht.«
»Wie du willst.«
»Und wie
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