Mann Ohne Makel
heimtückisch.«
»Aber nicht zu heimtückisch für KZ-Häftlinge oder Zuchthäusler.«
»Irgendjemand musste es tun.«
Sein Vater hatte ein kaltes Gesicht. Er schien regungslos. Seine linke Hand zitterte leicht. Er blickte, als wäre er abwesend. Was er sagte, trug den Klang der Notwendigkeit. Was er getan hatte, musste er tun. Ein wenig erinnerte er Stachelmann an einen Beamten, der achselzuckend Vorschriften herunterratterte, wissend, dass sie Unsinn waren, aber befolgt werden mussten.
»Dann hast du also KZ-Häftlinge und Zuchthäusler eingefangen.«
»Ja, das war mein Auftrag. Die Bomben mussten entschärft werden, sonst hätte es noch mehr Tote gegeben.«
Stachelmann lehnte sich zurück in seinem Sessel. Er visierte die Kante an, an der die Wand überging in die Decke. Er sagte nichts. War die Verstrickung unausweichlich? Waren alle die Verstrickungen, die das Morden erst ermöglichten, unausweichlich? Sein Vater war kein Mörder, war eher ein sanfter Mensch. Nur, was hatte er dann in der SA zu tun?
»Seit wann warst du in der SA?«
»Seit 32.«
»Und bei der Reichskristallnacht warst du auch dabei?«
»Mir wurde befohlen. Musste deutsche Läden bewachen.«
»Waren die Juden keine Deutschen?«
Der Vater schaute ihn unwillig an, das erste Mal zeigte er eine Regung in diesem Gespräch. Er hob die Stimme leicht, sie klang nach Empörung: »Das ist genau das, was ich sagte.« Er wurde wieder eintönig. »Damals galten sie nicht als Deutsche. Ihnen wurde die Staatsbürgerschaft aberkannt …«
»Aber doch erst später, nicht 38«, warf Stachelmann ein. Er spürte den Schmerz in den Rücken kriechen. Er schob sein Gesäß zur Rückenlehne. Er wusste, der Schmerz würde stärker werden. Seine Mutter betrat das Wohnzimmer, sie hatte nasse Augen. »Wollt ihr einen Tee?«, fragte sie. Sie erhielt keine Antwort, schaute von einem zum anderen und ging wieder. Wahrscheinlich stand sie hinter der Tür im Flur und hörte zu. Warum kommt sie nicht herein? fragte sich Stachelmann. Geht sie das alles nichts an? Stachelmann fand eine Rheumatablette in der kleinen Tasche seiner Jeans, den Notvorrat, und schluckte sie. Er brauchte kein Wasser. Sein Vater verfolgte die Hand, die die Tablette zum Mund führte.
»Aber sie wurden wie Ausländer behandelt.«
»Wie Feinde«, sagte Stachelmann. »Und dann wurde ihr Besitz als Feindvermögen einkassiert.«
»Damit hatte ich nichts zu tun.«
»Es reicht, dass du KZ-Häftlinge eingefangen hast. Wie viele?« »Abgehauen von meinem Trupp sind vielleicht ein Dutzend. Acht haben wir wieder gekriegt.«
»Und was passierte mit denen, die ihr gekriegt habt?«
»Die mussten wir der Polizei übergeben.«
»Der Gestapo.«
»Nein, wir haben sie der Schutzpolizei übergeben, und die hat sie dann wahrscheinlich zur Gestapo gebracht.«
»Und warum hast du sie nicht laufen lassen?«
»Dann hätten sie mich drangekriegt. Außerdem, die Bomben mussten geräumt werden. Es war wichtig.«
»Sie hätten dich drangekriegt, wenn du behauptet hättest, du hättest die Flüchtigen nicht einfangen können? Das glaube ich nicht.«
»Wenn du keinen einfängst, dann glaubt dir doch keiner mehr. Du verstehst das nicht. Du kannst es nicht verstehen. Ich werfe es dir nicht vor. Es war eine ganz andere Zeit.«
»Dir ist nie in den Sinn gekommen, es ist Unrecht, was ich da tue?«
»Nein, ich hatte meine Befehle. Es war Krieg.«
»Den Deutschland angefangen hat.«
»Den Hitler angefangen hat.«
»Führer, befiehl, wir folgen?«
»Sonst war man dran wegen Wehrkraftzersetzung. Kopf ab.«
»Du meinst, wenn man in einem Verbrecherstaat lebt, muss man Verbrecherbefehle befolgen.«
»Wir konnten uns den Staat nicht aussuchen. Was wir tun mussten, bestimmte das Gesetz. Was sollte ein kleiner Mann daran ändern? Bis 39 ging es nur aufwärts. Denk an die Arbeitslosen. Denk an Versailles, Hitler hat Deutschland wieder zu dem gemacht, was es gewesen war, eine große Nation. So sahen wir es damals. Nicht nur wir. Bei den Olympischen Spielen waren nicht nur die Deutschen begeistert. Weimar war der Niedergang, das Chaos, die Erniedrigung, Hitler war Aufschwung und Aufstieg. So sahen es damals alle.«
»Außer denen, die geflohen waren oder im KZ saßen.«
»Die hat keiner verstanden. Und stell dir vor, die Kommunisten wären drangekommen. Da wären noch mehr in Lager gewandert und umgebracht worden. Außerdem, 33 sind ja sogar Kommunisten zu den Nazis übergelaufen. In meinem SA-Sturm gab’s zwei
Weitere Kostenlose Bücher