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Mann Ohne Makel

Titel: Mann Ohne Makel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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könne ihn nichts aus der Ruhe bringen. Er sprach mit Prugate wie mit einem hilfsbedürftigen Greis. Es war die richtige Art, mit ihm zu sprechen.
    »Er hatte an der Kartei herumzumeckern.«
    »Der Kundenkartei?«
    »Genau.«
    »Und was meckerte er?«
    »Dass sie nichts taugt.«
    »Waren die Daten veraltet?«
    »Nein, ich habe immer Wert darauf gelegt, die Kartei in Schuss zu halten.«
    »Dann hatte Herr Holler keinen Grund, etwas zurückzufordern.«
    »Nicht den geringsten. Aber er hat es getan.«
    »Und Sie haben gezahlt. Warum?«
    »Er hat mit Gericht gedroht und damit, mich schlecht zu machen unter den Kollegen. Auf gut Deutsch, er hat mich erpresst.«
    »Mit dem Gericht kann man keinen erpressen«, sagte Ossi. »Wenn ich Ihnen glaube, dann hätte Holler so einen Prozess verloren. Und Sie hätten Ihr Geld behalten.«
    »Können Sie es nicht verstehen, dass ein alter Mann wie ich nicht mehr vor Gericht gehen will? Möglicherweise auch noch durch mehrere Instanzen.«
    »Das kann ich verstehen«, sagte Ossi, er glaubte ihm kein Wort. »Um wie viel Geld ging es denn?«
    »Um einhundertsechzigtausend Mark. Und dann hat er noch gesagt, ich solle froh sein, dass er nicht die ganze Kaufsumme zurückfordere und mir ein Strafverfahren wegen Betrugs anhänge.«
    »Vielleicht hatte er doch nicht ganz Unrecht?«, sagte Ossi.
    Prugate schaute ihn mit weit geöffneten Augen an. Eine Schweißperle zog ihre Bahn über die Nasenwurzel bis zum Mundwinkel.
    »Es ging allein um die Kartei?«, fragte Ossi.
    »Nicht ganz, das war der Hauptvorwurf. Er bemängelte auch den Zustand des Hauses, das ich ihm verkauft habe. Das war alt, baufällig, aber das hatte ich ihm vorher gesagt. Und er hatte abgewinkt. Es sei ihm egal, es wolle sowieso etwas Neues bauen. Aber nach einem halben Jahr fiel ihm ein, dass das Haus baufällig sei. Er sagte, damit würde er mich vor Gericht drankriegen, egal, was mit der Kartei sei.«
    »Das heißt, Holler wusste vor dem Kauf, dass das Haus Rott war, und wollte es abreißen.«
    »Ja.«
    »Hat er abgestritten, dass es ihm vor dem Kauf egal war.«
    »Er hat gesagt, das weiß ich noch genau: Wie wollen Sie das denn beweisen, Herr Prugate? Vor Gericht gilt nur der Vertrag. Da steht nichts drin von einer Ruine. Und dann hat er laut gelacht.«
    Warum schwitzte der Mann? Ossi war sich sicher, Prugate stand unter Druck. Das Geschäft oder der Betrug war vor mehr als zwanzig Jahren abgewickelt worden. Irgendetwas war faul. Aber was?
    Sie saß am Schreibtisch und schaute nicht auf, als er das Dienstzimmer betrat. Sie saßen lange Minuten und schwiegen.
    »Tut mir Leid«, sagte Ossi. Es tat ihm nicht Leid, aber er hielt das Schweigen nicht aus.
    »Was hast du herausbekommen?«, fragte Carmen.
    »Ich überlege mir die ganze Zeit, was mit dem Prugate ist. Er ist vor gut zwanzig Jahren beschissen worden, so glaubt er jedenfalls. Und er ärgert sich, als wäre es heute Vormittag gewesen. Da passt was nicht.«
    »Vielleicht. Manche alten Leute sind schon komisch. Sie leben in der Vergangenheit. Da kann es doch sein, dass er sich über eine Sache ärgert, als wäre sie gestern gewesen, weil sie für ihn gestern passiert ist.«
    »Dreimal um die Ecke«, sagte Ossi. »Das ist mir zu kompliziert.«
    »Dadurch wird’s nicht unwahr. Die Lüge unterscheidet sich nicht von der Wahrheit, weil sie komplexer ist.«
    »Jetzt wird die auch noch philosophisch«, sagte Ossi vor sich hin.
    Carmen lachte. »Du verfluchst das Schicksal, das mich an diesen Schreibtisch geführt hat.«
    »Ich verfluche das Schicksal, das Ulrike umgebracht hat. Und bald verfluche ich uns, weil wir auf der Stelle herumtrampeln und nur Scheiße produzieren. Es ist zum Kotzen.«
    Carmen schwieg. »Tut mir Leid«, sagte sie dann.
    »Was?«
    »Das mit Ulrike. Man merkt es dir zwar nicht an, aber du vermisst sie.«
    »Ja.«
    »Ich kann nichts dafür. Wenn es nach mir ginge, würde Ulrike noch leben und ich Streife schieben in Ochsenzoll.«
    »Ochsenzoll?«
    »Oder auf der Reeperbahn. Gefiele dir das besser?«
    ***
    Es war, als führe er auf einem Gleis. Oder einer ließ ihn als Marionette immer denselben Weg gehen. In die Adlerstraße. Nirgendwo war ihm die Vergangenheit so gegenwärtig wie hier. Der Mensch ist seine Vergangenheit. Sie ist wirklich, die Zukunft nur eine Verheißung oder Drohung, wie es eben kommt. Ihn wunderte nur, dass ihn noch niemand angesprochen hatte. Er stand Woche für Woche vor dem Haus Nummer 17 und schaute. Ein komisches Verhalten,

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