Mann Ohne Makel
war der eine Punkt. Und der andere war, dass seine Kartei eigentlich keinen Pfennig wert war.«
»Was für eine Kartei?«
»Sehen Sie mal, ein Makler ist kein Eigentümer, auch wenn es vorkommt, dass Makler Immobilien besitzen. Wie Herr Enheim zum Beispiel.«
»Wie Herr Holler zum Beispiel«, sagte Carmen.
»Wie Herr Holler zum Beispiel«, sagte Holler. »Wir Makler leben davon, Wohnungen oder Häuser zu vermieten oder zu verkaufen. Jeder Makler legt den größten Wert darauf, eine Kartei über Käufer, Verkäufer, Wohnungssuchende und Vermieter anzulegen. Seine Aufgabe ist es, diese Gruppen zueinander zu bringen, ihre sich widersprechenden Interessen in Einklang zu bringen. Wir Makler sind Stifter von Harmonie angesichts krasser Interessengegensätze. Die Vermieter wollen am liebsten die Miete verdoppeln, die Mieter höchstens die Hälfte bezahlen. Der Verkäufer will einen irren Preis, der Käufer versucht alles, den Preis zu drücken.« Er sprach ruhig, seine Stimme klang voll.
Er hätte auch einen guten Arzt abgegeben, dachte Ossi. Einer, dem die Patienten vertrauen. Oder einen guten Hochstapler, der mit Worten Verbrechen begeht.
Holler schwieg, schien nachzudenken, dann fuhr er fort: »Der Wert einer Maklerfirma ist gleichbedeutend mit dem Wert seiner Kartei. Unser Kapital sind Kontakte. Gewiss, wir kaufen hin und wieder selbst, wenn wir einem Angebot nicht widerstehen können. Aber das ist die Ausnahme. Ich muss gestehen, als Immobilienbesitzer bin ich nicht so erfolgreich wie als Makler. Als Besitzer muss man hart sein, Räumungsklagen durchsetzen, Mieten erhöhen, alles Dinge, die mehr als unerfreulich sind. Ich habe in den beiden Mietshäusern, die ich in Altona besitze, noch nie die Miete erhöht. Ich fürchte, da wohnen einige Leute, die woanders längst geräumt worden wären. Ich stunde Mieten Monat für Monat, und am Ende sind die Schulden so hoch, dass ich gar nicht weiß, wie die armen Leute sie zurückzahlen sollen. Das Ende können Sie sich denken.«
Wirklich so was wie Jesus, dachte Ossi.
»Sie haben bei allen Verkäufen Geld zurückerhalten, meistens nach ein paar Monaten«, sagte Carmen.
Holler stutzte. »Kann sein. Dann gab es in allen Fällen Mängel, welcher Art auch immer. Der Hauptmangel bei Enheim war nicht der traurige Zustand seiner Immobilie, sondern dass er seine Kartei nicht gepflegt hat. Eigentlich war er pleite, als er an mich verkaufte. Seine Kartei gab nichts her. Wenn ich mich recht erinnere, haben wir nicht einen einzigen Kunden in unsere Kartei übernommen. Blieb also ein marodes Haus.«
»Aber es ist doch ungewöhnlich, dass nach dem Verkauf noch einmal Geld fließt.«
»Das kommt Ihnen so vor. Aber es gibt eine gesetzliche Gewährleistungsfrist. In dieser Frist prüfen meine Leute alles, was ich kaufe. Manchmal sagen sie mir, Chef, da sind Sie mal wieder ein bisschen leichtsinnig gewesen. Ich fürchte, meine Leute haben Recht. Es sind gute Mitarbeiter.«
»Es ist bei Immobiliengeschäften also normal, dass nach dem Verkauf Geld fließt?« Ossi nahm Carmens Frage wieder auf.
»Bei mir durchaus.«
»Könnten Sie uns bitte die Anschriften Ihrer beiden Mietshäuser in Altona geben? Sind es die einzigen Mietshäuser in Ihrem Besitz?«
Holler schaute Ossi und Carmen an, als wollte er fragen: Was soll denn das nun wieder? Er fragte nicht, sondern rief Frau Mendel. Als sie erschien, sagte er: »Bitte notieren Sie die Adressen unserer beiden Häuser in Altona und auch des Apartmenthauses im Alsterblick und geben Sie sie den beiden Polizisten.« Er wandte sich an Carmen. »Wenn Sie gehen, nehmen Sie die Anschriften bitte bei Frau Mendel mit.«
Frau Mendel verschwand.
Ossi erhob sich.
Holler blieb sitzen. »Darf ich fragen, ob Sie den Mord an meiner Tochter, meiner Frau und meinem Sohn aufklären oder ob Sie sich weiterhin mit meiner Buchhaltung beschäftigen wollen?«
»Wir werden den oder die Mörder finden, früher oder später.«
»Also später«, sagte Holler scharf.
»Vielleicht später«, sagte Ossi. »Wir tun alles, was wir tun können.«
»Zurzeit offenbar nicht. Sie untersuchen den Tod Ihrer Kollegin, wie hieß sie noch mal, dann den Mord an Enheim und meine Bücher.«
»Vielleicht gehört ja alles zusammen«, sagte Carmen.
»Wie lange sind Sie schon Polizistin?«
Carmen stand auf. Sie nickte Ossi zu. »Wir gehen.« Ossi folgte ihr. Als sie die Tür zum Vorzimmer öffneten, hatte Frau Mendel einen Zettel in der Hand. Sie übergab ihn schweigend
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