Manner Lieben
bevorzugte Maltechnik, Ihre Vorbilder und Inspirationen. All so was eben. Aber ich muss zugeben, dass es mich trifft, was Sie mir unterstellen. Ich bin niemand, der sich am Unglück anderer weidet!"
Einen Moment lang starrten sich die beiden Männer einfach nur an. Schließlich stellte Marriott sein Glas auf die Anrichte, um sich erneut die Haare hinter die Ohren zu streichen. Diesmal tat er es mit beiden Händen gleichzeitig. Schlanke Finger gruben sich durch die langen dunklen Strähnen. Die Hände des Künstlers waren mit Farbe bekleckert. Chris fragte sich, ob es sich wohl rau anfühlte, von solchen Händen gestreichelt zu werden.
„Dann werden Sie nichts darüber schreiben, dass ich Angst vor Menschenmengen habe?", riss Marriott ihn aus seinen Gedanken.
„Ich kann Ihnen das nicht versichern", brachte Chris leise hervor. Der Blick des anderen erstarrte zu Eis. Chris trank nervös von seinem Orangensaft. Er konzentrierte sich darauf, dass er dringend zu seiner Professionalität zurückfinden musste. Schließlich erklärte er mit fester Stimme: „Sie sind Ihrer eigenen Vernissage fern geblieben und Dr. Johnsson macht aus dem Grund dafür auch kein Geheimnis. Zumindest hat er das mir gegenüber nicht getan."
„Aber die anderen hatten so viel Anstand, mich wenigstens in Ruhe zu lassen, nachdem mein Bild gestohlen wurde. Sie jedoch sahen Ihre Chance, mir als Erster von dem Diebstahl zu erzählen. Nebenbei wollten Sie mich in ein Gespräch verwickeln, um herauszufinden, was es mit meiner Schwäche auf sich hat." Marriott verzog das attraktive Gesicht zu einem bitteren Lächeln. „Und vermutlich wird davon auf dem Titelblatt der nächsten Ausgabe von Art'n live zu lesen sein!"
Chris hob abwehrend die Hände. „Es sollte nur ein einfaches Interview werden. Keine Hetzjagd! Irgendwo im Heft sollte es erscheinen — nicht auf der Titelseite. Das hätte der Chefredakteur gar nicht mitgemacht. Sie überschätzen mich — und sich selbst auch!"
Das böse Funkeln erstarb. Marriott wich Chris' Blick aus. „Gut. Es ist auch so schon schwer genug, ohne dass es in die Medien getragen wird."
Chris seufzte: „Auch wenn ich es nicht schreibe, wird es unter Garantie jemand anderes tun."
Marriott blickte an Chris vorbei. „Dann kann ich es wohl nicht ändern. Aber es würde mir viel bedeuten, wenn Sie es nicht tun." „Warum ist Ihnen das wichtig?"
„Weil wir uns kennengelernt haben. Ich lasse nur sehr wenige Menschen in meine Nähe. Es käme mir wie Verrat vor, nachdem Sie mich nun so privat kennen, verstehen Sie?"
Chris schüttelte den Kopf. „Nein, ehrlich gesagt verstehe ich das nicht. Ich weiß doch gar nichts Privates über Sie."
„Sie wissen nun, was ich über das Magazin denke, für das Sie arbeiten. Von mir aus schreiben Sie das in Ihren Artikel."
Chris schüttelte abermals den Kopf. „Sagen Sie mir, woran Sie zurzeit arbeiten. Geben Sie mir etwas an die Hand, womit ich die Leser neugierig machen kann. Etwas, womit ich die Kunstwelt überrasche."
„Ich spreche nicht über Gemälde, die noch nicht fertig sind."
Chris stöhnte auf. „Aber Sie sprechen auch nicht gerade ausgiebig über die, die es sind!" Als der Künstler schwieg, konnte Chris sich nicht mehr zurückhalten. „Warum nicht? Haben Sie Angst, über die Einsamkeit zu sprechen? Über die Isolation und Verzweiflung, die Sie darin zum Ausdruck bringen? Was ist das da hinten? Dieses Bild auf der Staffelei? Sind das Ihre Gedärme, die sich zusammenknoten, wenn Sie daran denken, dass Sie eigentlich heute auf Ihre Vernissage hätten gehen müssen, mit all diesen Menschen, die in Sie blicken wollen, statt nur auf Ihre Bilder?!"
Marriott wich zurück, er war blass geworden. „Sie gehen zu weit. Ich möchte, dass Sie nun meine Wohnung verlassen. Ich werde die Polizei anrufen und mich nach den Ermittlungen erkundigen."
„Ja, tun Sie das!", herrschte Chris ihn an. Er war wütend auf Marriott, und noch mehr auf sich selbst. Seine Lüge würde auffliegen, und er hatte nichts in der Hand, das er der Redaktion liefern konnte.
Die Türglocke ertönte plötzlich. Marriott ging hin und öffnete. Eine junge Frau stand da, der der Künstler sofort Einlass gewährte. Sie hatte einen frechen Kurzhaarschnitt, in flammendem Rot gefärbt. Ein Minirock wurde ergänzt durch eine Lederjacke und Stiefel. Obwohl sie hohe Absätze trug, musste sie sich recken, um Marriott einen Kuss auf die Wange zu drücken, den dieser erwiderte.
„Darling, du hast Besuch?",
Weitere Kostenlose Bücher