Mannerfreie Zone
Ratte, die wir vielleicht in unserer Wohnung haben. Ich erhoffe mir einen hilfreichen Rat von ihr, weil sie so nachdenklich dreinschaut, als sie an ihrem mit Putenstreifen gefüllten Wrap kaut.
„Vielleicht sollte ich nach Paris ziehen.“
Ich vergesse sofort meine Ungeziefer-Probleme und verbringe den Rest des Mittagessens damit, Tabitha von meiner neuen Einstellung zu berichten und dass sie, wenn sie es hier geschafft hat, es überall schaffen kann.
„Aber was gibt es in Paris schon außer einem Haufen rotznäsiger Franzosen?“ Ich muss schnell handeln, wenn ich ihr noch etwas Vernunft beibringen will.
„Jaques ist ein rotznäsiger Franzose.“
So habe ich sie noch nie erlebt. „Ich kann nicht glauben, dass du dich von einem Mann so runterziehen lässt. Ernsthaft, Tabitha, du steigerst dich da viel zu sehr hinein. Hast du mir nicht immer erzählt, dass es das Tollste ist, in New York zu leben, dass du hier erst weggehen wirst, wenn du etwas erreicht hast? Wenn du in
Vanity Fair
erwähnt worden bist? Nun komm schon. Warum machst du so ein Drama?“
„Weil er mich nicht zurückgerufen hat. Ich frage mich, ob er eine andere Mademoiselle in Paris hat. Ich habe versucht, die Unterlagen über ihn zu finden, die wir für den Artikel hatten. Aber wir haben so einen verdammten freien Autor damit beauftragt, es gibt keine Unterlagen. Mist.“
„Nun, er ist Künstler.“ Ich weiß, damit kriege ich sie.
„Du hast Recht. Ich sollte nicht so egoistisch sein, seine Kunst war immer wichtiger. Besser seine Kunst als irgendeine französische Schlampe. Mir ist nur in letzter Zeit so langweilig.“
„Tabitha, er ist doch erst vor einer Woche gegangen. Ich dachte, du hattest Spaß am Wochenende.“
„Spaß im grundlegenden Sinne. Aber es hat mich nicht näher mit meiner inneren Größe in Verbindung gebracht. Ich darf nicht den Fehler machen und viele solcher Wochenenden verbringen.“
„Alle Wochenenden sind dahin, irgendwann.“
„Ich muss einfach sehr bald etwas wirklich Tolles tun. Ich sollte Nicole anrufen.“ Nicole ist dieses absolut schreckliche Mädchen, das in einer Casting-Agentur arbeitet. Sie glaubt, dass Tabitha bei
NY By Night
viel mehr zu sagen hat, als es in Wirklichkeit der Fall ist. Obwohl Nicole ein schrecklicher Mensch ist, akzeptiert Tabitha sie, weil sie meist von noch besseren Partys weiß als Tabitha selbst.
Ich hasse Nicole und dass immer mitten im Restaurant ihr Handy klingelt. Sie erzählt permanent von ihren tollen Beziehungen bei
Miramay
und von reichen Freunden, die ihr dabei helfen wollen, ihre eigene Filmfirma zu gründen. Tabitha glaubt ihr das auch. Mir gefällt der Gedanke nicht, dass Tabitha irgendjemanden am Rockzipfel hängt, aber das tut sie nun mal. Sie glaubt, dass Nicole eines Tages eine sehr mächtige Frau sein wird und sie dann irgendwelche Vorteile daraus ziehen kann, sie zu kennen.
„Oh“, ruft sie, „ich glaube, es gibt doch ein paar Gründe, in New York zu bleiben.“ Sie meint damit einen dunkelhaarigen Typen, der bei den Gewürzen steht, vielleicht ein neuer Praktikant. Er ist wirklich gut angezogen und ziemlich hübsch.
„Er ist wie ein Praktikant gekleidet. Vielleicht ist das ja sein Geheimnis.“
„Eve, das ist Robert King.“ Ich zucke mit den Schultern. „Gott, du solltest langsam mal anfangen, Zeitung zu lesen. Robert King ist der Typ, der geholt wurde, um das Design einiger unserer Zeitschriften zu ändern. Er ist wohl so was wie ein Marketing-Guru.“
„Wie alt ist er? Zwölf?“
„Nein, wahrscheinlich dreißig, er hat es früh zu was gebracht. Das ist wahrscheinlich ein Zeichen für uns, dass wir langsam auch unser bestes Alter erreicht und bald überschritten haben werden.“
„Ich habe mein bestes Alter schon längst hinter mir.“
„Oh, was für ein Unsinn. Egal, dieser Robert jedenfalls ist ein Hübscher. Und er verkehrt mit dem Jet Set. Geht mit Models aus. Braucht keinen Schlaf. Der typische Lebenslauf eben. Aber sieh ihn dir an, er hat Probleme mit der Ketchup-Flasche. Ganz tief drinnen ist er also ein Loser, und trotzdem ist er hier, um unserer Firma zu helfen, der es in Wirklichkeit großartig geht.“
Wenn sie meint. Ich bin nur froh, dass Tabithas kleine Rede sie wieder auf andere Gedanken gebracht hat. Sie will eines Tages zu den wichtigen Leuten gehören. Sie weiß jetzt, dass sie in New York bleiben muss, und das wegen einer Ketchup-Flasche.
„Hast du inzwischen Johann angerufen?“
„Ja, Nervensäge, zu deiner
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