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Manöver im Herbst

Manöver im Herbst

Titel: Manöver im Herbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Schütze zu heiraten. In zwei Jahren wird sie großjährig … sie drohte mir damit. Sie hat den Dickkopf der Perritz'. Und nun stehen Sie vor mir und ich frage mich die ganze Zeit: Was findet meine Tochter an Ihnen so begehrenswert? Sie sind ein Bürgerlicher –«
    »Mein Vater ist Steueroberinspektor, Herr Baron.«
    »Ein ehrenwerter, aber beim Volk nicht sehr populärer Beruf. Ihr Vermögen –«
    »Ich habe eine Karriere vor mir, Herr Baron.«
    »Nicht, wenn Sie weiterhin Majestäten düpieren. Warum der Kaiser Sie befördern ließ, ist ein Rätsel. Es paßt nicht in das Bild, das wir vom Kaiser haben. Außerdem scheinen Sie mir sehr revolutionär zu sein, junger Mann.«
    »Ich verteidige nur mein Recht, Herr Baron.«
    »Und Sie meinen sich im Recht, wenn Sie um die Hand meiner Amelia anhalten?«
    »Ja. Wir lieben uns.«
    »Ein Rätsel. Wirklich. Wenn man in die Gehirne der Weiber sehen könnte. Wenn ich ein Mädchen wäre, würde ich Sie gar nicht bemerken.«
    »Weil ich kein Adeliger bin?«
    »Auch. Es hieße eine Familientradition verletzen, wenn eine v. Perritz einen Bürgerlichen heiratete …«
    »Im heutigen, aufgeklärten 20. Jahrhundert –«
    Freiherr v. Perritz hob herrisch beide Arme und winkte energisch ab. »Reden Sie keine Dummheiten, Herr Leutnant. Auch wenn Menschen jetzt schon mit Motoren durch die Luft fliegen und die Schwerkraft aufheben, bleiben die Traditionen bestehen und die gesellschaftlichen Schranken. Ich sage es Ihnen ehrlich: Ich bin gegen eine Heirat meiner Tochter mit Ihnen, auch wenn Sie …« – er lächelte mokant und voll Spott – »… den Marschallstab im Tornister führen. Was können Sie meiner Tochter bieten? Das Gehalt eines Leutnants? Soll Ihre Frau viermal in der Woche Kohlrüben essen? Oder hoffen Sie auf eine dicke Mitgift?«
    »Wir lieben uns –«, sagte Heinrich Emanuel leise. Es war ihm, als glitte er langsam in eine Ohnmacht weg. Mühsam behielt er die steife Haltung und starrte auf den schwarzen Bart, über den die Flammen des Kamins zuckten.
    »Und damit wollen Sie Kinder satt kriegen? Statt Mittag- und Abendessen nur zweimal Küßchen? Halten Sie mich für einen Idioten, Herr Leutnant?«
    »Nein, Herr Baron. Aber ich bitte zu bedenken, daß auch ein Leutnant der kaiserlichen Grenadiere kein Idiot sein kann.«
    Freiherr v. Perritz sah Schütze an, als habe ein neuer, ihm unbekannter Ton den Salon durchflogen. Er stieß sich mit dem Rücken von der Wand ab, ging auf Schütze zu, blieb vor ihm stehen, sah ihn groß an, sagte halblaut »so, so«, ging weiter und verließ wortlos das Zimmer.
    Heinrich Emanuel hatte das Gefühl, auch gehen zu müssen. Er legte seinen Blumenstrauß auf einen der kleinen Tische, betrachtete sein bleiches Gesicht in einem Spiegel und kam sich sterbenselend vor. Langsam ging er hinaus in die kalte Halle.
    Aus einer dunklen Ecke wehte ein langes, dunkelblaues Kleid heran. Es stürzte auf ihn zu, lange, braune Locken verdunkelten für einen Moment seinen Blick.
    »Was hat Papa gesagt?« flüsterte Amelia. Schütze atmete zweimal tief durch.
    »Leb wohl …«, sagte er traurig. Weiter nichts.
    »Ich komme mit«, sagte sie laut. Ihre Stimme hallte in der großen Halle. Man mußte sie in jedem Zimmer hören.
    »Nein.« Heinrich Emanuel schüttelte den Kopf. »Dein Vater hat recht. Wovon sollen wir leben? Ein Leutnantsgehalt. Es reicht gerade für den Burschen, das Pferd … noch nicht einmal dafür reicht's.«
    »Ich bekomme meine Mitgift.«
    »Du bekommst gar nichts, wenn du mich heiratest.«
    »Ich werde ihn zwingen!« schrie Amelia.
    »Es ist kein Segen dabei. Es hat keinen Sinn …« Er sah in ihre flackernden Augen. Ihr Mund zuckte. Wie feucht und rot ihre Lippen sind, dachte er. Ich möchte sie küssen …, aber es wird die Qual nur noch vermehren. Ich bin ein Nichts, ich weiß es jetzt. Ich bin trotz meiner Uniform der letzte Dreck.
    Er nahm die Hände Amelias, küßte sie, ließ sie dann fallen und rannte aus der Halle hinaus auf die Freitreppe des Einganges.
    »Heinrich!« hörte er Amelia rufen. »Heinrich!«
    Mit langen Sätzen rannte er die Stufen hinab. Unten wartete noch der Kutscher. Er warf sich auf die gepolsterte Bank und schrie ihm zu:
    »Fahren Sie! Nach Trottowitz! Sofort!«
    Die Pferde zogen an. Klappernd ratterte die Kutsche über das Pflaster hinaus auf die Allee. Heinrich Emanuel sah nicht mehr zurück. Er starrte hinaus in die tiefe Nacht, riß sich den Kragen auf und ließ den kalten Herbstwind über seine Brust

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