Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Manöver im Herbst

Manöver im Herbst

Titel: Manöver im Herbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
Töten? Ein Attentat also? Sind wir Offiziere oder Mörder?«
    »Wir haben als Offiziere die Pflicht, dem Vaterland zu dienen. Das ist unser Eid. Noch können wir einen Erdrutsch aufhalten. Wenn ein Berg erst einmal in Bewegung ist, helfen keine Stützen und Dämme mehr.«
    »Es sind Utopien.«
    »Gut. Lassen Sie sich überzeugen. Kommen Sie mit mir nach Paris. Ich führe Sie herum … ich zeige Ihnen die Terrorherrschaft der SS und des SD. Ich zeige Ihnen, wie eine so dringend notwendig deutsch-französische Verständigung an den Herrenmenschen mit den beiden Runen zerbricht. Wie sie mit einer Willkür herrschen, die einen inneren Widerstand der Franzosen geradezu herausfordert. Ich zeige Ihnen Deportationen –«
    Heinrich Emanuel trank das Glas aus. Egerland, dachte er. Polen. Frauen und Kinder in Massengräbern. Tag und Nacht knatterten die Maschinenpistolen … auch des Nachts, unter Tiefstrahlern. Der Tod im Scheinwerfer.
    »Ich komme mit nach Paris«, sagte er heiser. »Aber was können wir wenigen tun?«
    »Die anderen überzeugen. Auch eine Lawine entsteht durch eine Handvoll gelösten Schnee.«
    »Wann fahren wir?«
    »Wenn es Ihnen recht ist – sofort.«
    *
    Im Hotel St. Just speiste seit zwei Jahren schon ein Kreis von Stabsoffizieren und Generalen. Das Essen war gut, der Bordeaux-Wein gut temperiert und gelagert, der Inhaber des Hotels deutschfreundlich. Im Nebenhaus war ein Kasino der SS, man lud sich gegenseitig ein und pflegte einen Kontakt, so gut es ging.
    Es fiel deshalb auch nicht auf, daß an bestimmten Abenden größere Kreise im St. Just zusammenkamen. Auch als Oberfeldarzt Dr. Langwehr und Major Schütze die Hotelhalle und den Speisesaal betraten, umgab sie ein Gewimmel von Uniformen und das Schwirren gedämpft geführter Gespräche.
    »Kommen Sie«, sagte Dr. Langwehr. Sie durchquerten den großen Speisesaal und kamen in ein kleineres Zimmer, in dem sechs runde Tische standen. In einem Marmorkamin brannte ein offenes Feuer. Das Gespräch stockte sofort, als die Tür sich öffnete und Dr. Langwehr eintrat.
    »Major Schütze, meine Herren«, stellte Langwehr vor.
    Heinrich Emanuel kam sich ziemlich unwohl und vor allem fehl am Platz vor. Er sah die goldenen Eichenlaube von Generalen, die breiten roten Streifen an den Hosen, Ritterkreuze, lange Ordensspangen. Er blieb an der Tür stehen und grüßte stramm.
    Zwanzig Augenpaare musterten ihn. Stumm, kritisch, abwägend. Man kannte seinen Lebenslauf, man hatte seine Personalakten studiert. Er war der Typ oppositioneller Mittelmäßigkeit. Er war das, was man ein ›ausführendes Organ‹ nennt.
    Drei Stunden blieb Schütze in dem Hinterzimmer des Hotels St. Just. Dann fuhr ihn Dr. Langwehr wieder zurück nach Frujère. Wie betäubt saß Heinrich Emanuel im Fond des Wagens und starrte in die Nacht hinaus.
    »Es hat Sie erschüttert?« fragte Dr. Langwehr leise.
    Schütze hob die Schultern, als fröre er. »Ich kann es nicht begreifen. Ich habe etwas von Konzentrationslagern gehört. Ja. Aber daß es dort Verbrennungsöfen gibt, daß Millionen Juden in Gaskammern … daß man an ihnen experimentiert … daß …« Seine Stimme brach. Er drückte die heiße Stirn gegen die kalte Wagenscheibe und schloß die Augen.
    »Ich fahre Sie morgen in der Gegend herum. Ich zeige Ihnen die Plätze, wo die SS täglich französische Widerstandskämpfer erschießt. Ich zeige Ihnen, wie die Museen geplündert werden, wie man Güterzüge voll Möbel, Teppichen und wertvollen Sammlungen ins Reich schafft. Sie werden den Ausverkauf der deutschen Moral sehen. Und so wie hier ist es überall.«
    Schütze schwieg. In Frujère legte er sich nach dem Weggang Dr. Langwehrs sofort ins Bett. Aber er konnte nicht einschlafen.
    Ein Attentat auf Hitler, dachte er schaudernd. Bis in der engsten Umgebung von Hitler stehen die Gegner. Berühmte Generale. Und ich, ich mache mit. Ich habe zugesagt. Ich habe ihnen die Hand gedrückt, mein Wort gegeben. Ich … ich …
    Er sprang auf, steckte den Kopf in ein Becken mit kaltem Wasser, rieb sich ab … aber der innere Druck blieb. Er wurde im Gegenteil noch stärker und ergriff den ganzen Körper, als läge er zwischen einem riesigen Schraubstock. Angst, dachte Schütze. Es ist Angst.
    Mein Gott, alles kann ich sein, nur kein Revolutionär. Aber jetzt bin ich es. Wie soll das enden …
    Gegen Morgen erst schlief er ein.
    Er träumte, er stände in einer Sandgrube vor einem einsamen Pfahl, und zwölf Gewehrmündungen starrten auf seine

Weitere Kostenlose Bücher