Manöver im Herbst
stand, nun gut … hier in Frankreich war man sicher. Man hatte mit Pierre und Jaques längst Brüderschaft getrunken, man lag bei den Mädchen im Bett, man war selbst ein halber Franzose geworden und sprach auch nur im trauten Kreis französisch … Sacre nom de Dieu, der ganze Krieg ist ja ein Mist. Macht doch Schluß, Kinder. Joujou kann so herrlich küssen. Und überhaupt haben wir erst hier gelernt, was wirkliches Leben heißt. Macht Schluß und laßt uns leben … Oder besser: Laßt es so, wie's ist. Wie heißt der Spruch: Es lebe der Krieg – der Frieden wird schrecklich sein –
Am 19. Juli 1944 kam Oberfeldarzt Dr. Langwehr zu Heinrich Emanuel Schütze. Er sah bleich aus, von Schlaflosigkeit gekennzeichnet. Seine Hände flatterten, als er sich eine Zigarre ansteckte.
»Morgen. Im Führerhauptquartier. Es ist soweit.«
Schütze nahm es den Atem. Er preßte die Hände zusammen.
»Wie?« fragte er tonlos. »Mord –«
»Man wird Hitler in seinem Kartenzimmer in die Luft sprengen.«
»Und die anderen, die bei ihm sind?«
Dr. Langwehr sah zu Boden. Sein bleiches Gesicht sah verfallen aus. Die Haut hing in Lappen über den Knochen.
»Große Taten bedingen große Opfer. Um Millionen zu retten, kann man nicht auf vier oder fünf sehen.«
»Aber sie sind ahnungslos und unschuldig.«
»Alle, die bisher gefallen sind, waren ahnungslos und unschuldig. Ihr Sohn … zwei meiner Söhne …«
»Sie haben zwei Jungen verloren …?« fragte Schütze leise.
»Den letzten in Stalingrad.« Dr. Langwehr wischte sich über die flackernden, übermüdeten Augen. »Alles ist vorbereitet. General v. Stülpnagel wird sofort die gesamte SS in Paris verhaften lassen. Rommel und Kluge sorgen für die Ruhe in den Armeen. In Berlin wird sofort mit der Arbeit begonnen, wenn die Meldung über das Attentat durchgegeben ist. Die Liste des neuen Kabinetts ist bereits in Goerdelers Tasche. Ihr Onkel v. Perritz wird zwei Wehrkreise übernehmen. Er ist bereits in Münster eingetroffen. Es wird alles wie ein Uhrwerk ablaufen …«
»Muß es gerade jetzt sein?« Schütze trommelte mit den Fingern auf die Sessellehne. »Die Invasion hat begonnen. In der Normandie, auf der Halbinsel Cotentin, stehen 30 Infanteriedivisionen und 13 Panzerdivisionen der Engländer und Amerikaner. Tag und Nacht belegen tausende alliierte Bomber unsere Abriegelungstruppen mit Teppichen … an einem einzigen Tag, von 5 Uhr 45 bis 7 Uhr 45 waren es 12.000 Bomben auf 3 Kilometern. Sollen wir unseren Jungen in den Rücken fallen? Gerade jetzt?«
»Mit dem Attentat hört der Krieg auf. Hört das Sterben auf!« rief Dr. Langwehr. »Wir fallen den Truppen nicht in den Rücken … wir retten sie. Mit einer einzigen Bombe retten wir Millionen vor dem sicheren Tod. Der Tod eines einzigen, eines Irren auch noch, bedeutet das Leben von Millionen. Ist dies nicht eine einmalige geschichtliche Chance? Jetzt, gerade jetzt müssen wir handeln … bevor die Invasion weiterrollt, bevor die Sowjets ihre große Herbstoffensive unternehmen, bevor die amerikanischen Armeen über die Alpen kommen.«
»Welche Aufgabe habe ich?« fragte Schütze leise. Sein Kopf lag auf seiner Brust.
»Sie werden sofort nach dem gegebenen Alarm mit vierzig bereitgestellten Männern den SD-Stab in der Kommandantur verhaften und zum Befehlshaber Frankreich bringen. Dort erfahren Sie weiteres.«
»Und wenn es Widerstand gibt?«
»Brechen.«
»Und wenn der Anschlag mißlingt?«
»Er wird nicht mißlingen. Er kann es gar nicht.« Schütze erhob sich. Seine weißen Haare waren unordentlich. Kalter Schweiß stand auf seiner Stirn.
»Ich habe ein ungutes Gefühl dabei, Doktor«, sagte er leise.
Dr. Langwehr setzte seine Mütze auf. »Nehmen Sie zwei Pillen Pervitin. Das regt Sie an. Wir sehen uns morgen wieder …«
Am 20. Juli krepierte die Zeitzünderbombe neben dem Kartentisch Hitlers. Eine Reihe von Generalen wurde verletzt. Hitler aber lebte. Die Witterung war daran schuld. Die Sonne. Weil es ein heißer Tag war, wurde die Führerbesprechung nicht wie sonst im Bunker angesetzt, sondern in einer Holzbaracke. Hier aber wurde die Explosion abgeschwächt, weil Dach und Fenster sofort auseinanderflogen. In einem Betonbunker hätte der Druck alle Anwesenden zerrissen.
Als das Telefon schrillte, wußte Schütze, daß es geschehen war. Er nahm den Hörer ab, hörte eine Stimme: »Plan I« und legte sofort wieder auf.
Unterdessen verhaftete General v. Stülpnagel den SS-Oberbefehlshaber von Paris mit
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