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Manöver im Herbst

Manöver im Herbst

Titel: Manöver im Herbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sich und ihre Nachkommen auf Gut Perritzau. Den Hof bekam der älteste Bruder. Im Testament war auch noch ein Nachsatz, der sich mit Heinrich Emanuel beschäftigte.
    »Wenn mein Schwiegersohn Heinrich Emanuel Schütze jemals General wird, bitte ich, mich auszugraben und in die Schweiz zu überführen. Es ist anzunehmen, daß die Erde, in der ich jetzt ruhe, dann keine Ruhe mehr haben wird …«
    Major Schütze empfand diesen Nachsatz als tiefe Demütigung. Aber er nahm sie hin, dem Zustand Amelias zuliebe und auch deshalb, weil man Tote nicht zur Rechenschaft ziehen kann.
    »Er war ein guter Vater«, hatte er am Grab des alten Barons gesagt. »Ein Patriarch und ein weltweiter Geist. Ein Stück Deutschtum ist mit ihm gegangen …«
    Jetzt bereute Schütze diesen Satz …, aber er sagte es nicht laut. Er schluckte es hinunter.
    Nach vier Tagen fuhr man zurück nach Rummelsburg.
    Irgendwie hat man sich innerlich von allem gelöst, spürte Schütze. Es gab eigentlich nur noch die eigene Familie. Sie war eine Welt für sich.
    Seine Welt.
    *
    Nach diesem halben Jahr der Überraschungen wurde Major Schütze einer Arztkommission vorgestellt. Er hinkte zwar den kritischen Blicken erbärmlich etwas vor und verzog das Gesicht, als man die Amputationsstümpfe drückte, aber das Urteil war nicht mehr aufzuhalten. Garnisonverwendungsfähig. Ein Oberfeldarzt drückte ihm markig die Hand.
    »Gratuliere. Sie sind überm Berg.«
    Mit saurer Miene bedankte sich Major Schütze. Er hinkte aus dem Untersuchungszimmer, klapperte mit seinem Stock aus dem Haus und sagte auf der Straße, nachdem er sich mehrmals umgesehen hatte und allein war, mit lauter Stimme:
    »Scheiße!«
    So langsam deutsche Behörden in Friedenszeiten arbeiten, so schnell sind sie im Krieg, wenn es gilt, Lücken aufzufüllen.
    Eine Woche nach der endgültigen Festsetzung der Verwendbarkeit Schützes kam ein neuer Gestellungsbefehl.
    »Melden beim Generalkommando der 15. Armee Generaloberst v. Salmuth. Ihre Weiterverwendung wird dort bekanntgegeben. Sie haben sich am …«
    »Frankreich«, seufzte Amelia erlöst, als Schütze ihr den Befehl zeigte. »Gott sei Dank. Es ist nicht Rußland. In Frankreich bist du sicher. Was mögen sie mit dir vorhaben?«
    »Irgendein stilles Kommando, sicherlich.« Schütze begann seine Koffer zu packen. Heimlich schien Amelia mit einer neuen Einberufung gerechnet zu haben. Alle Hemden waren gewaschen und gut gebügelt, alles war vorbereitet … von den Kragenstäbchen bis zu den Winter- und Sommersocken.
    Noch einmal fuhr Heinrich Emanuel nach Neuruppin und besuchte Giselher. Es dauerte lange, bis er seine schwere Verwundung überwand. Die fünf Bauchschüsse heilten langsam. Stundenweise konnte er aufstehen, aber feste Speisen erzeugten immer noch Koliken und heftige Krämpfe. Er wurde nur mit Suppen ernährt und mit neuen Vitaminpräparaten.
    »Paß auf Mutter auf«, sagte Schütze beim Abschied. »Du weißt ja …«
    Giselher nickte. »Keine Sorge, Papa. Komm bald wieder.«
    »Das tue ich, mein Junge.« Er griff Giselher in die langen, braunen Haare und raufte sie zärtlich. Plötzlich mußte er wieder an Pierre Bollet denken. Die gleichen Haare, durchfuhr es ihn. In all der Zeit habe ich nicht den Mut gehabt, Amelia es zu sagen. Sie soll es auch nie erfahren … jetzt erst recht nicht, wo sie so glücklich über das kommende Kind ist. Jeder Mensch hat ein großes Geheimnis, das er mit ins Grab nimmt … Gott möge mir verzeihen, daß es gerade so ein Geheimnis ist. Ein Verbergen der Schwäche. Ein Betrug an Amelia. Sie hat es wirklich nicht verdient –
    *
    Frujère ist ein kleiner Ort westlich von Paris. Es liegt in den Niederungen der Seine, in der Provinz Vexin. Hier ist der Alltag so eintönig und althergewohnt, daß selbst der sich nach Ruhe sehnende Schütze ab und zu einen Koller bekam und nach St. Germain fuhr. Dort gab es ein schönes Offizierskasino, erlesenen Wein, besten Sekt und ausgesucht schöne Mädchen. Schütze interessierte sich für die letzteren Darbietungen nur im Rahmen allgemeiner Kasinoabende … für ihn war St. Germain nur ein Entfliehen aus der Eintönigkeit von Frujère.
    Der Juli war heiß, trocken und staubig. Als Stadtkommandant oblag Schütze die Instandhaltung der großen Straße, die von Paris nach Caen und weiter nach Cherbourg führt. Auf ihr rückten in diesen Tagen neue Kolonnen an die Kanalküste. Tag und Nacht. Panzer, Infanterie, Artillerie, Pioniere.
    »Die Engländer planen eine Invasion«,

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