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Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia

Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia

Titel: Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Banner
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steht nichts d a von, dass wir Gottes Wege begreifen müssen, denn das vermag keiner von uns. Es gibt dort keinen Hinweis da r auf, dass wir immer genau wissen müssen, warum wir weitermachen. Dort steht nur, dass wir Folgendes tun müssen: Weiterleben, wie Gott es von uns erwartet, bis an das Ende unserer Tage.
    In Wahrheit hat alles einen Sinn, und auch wenn wir ihn jetzt vielleicht noch nicht erkennen, werden wir dies zu gegebener Zeit tun. Auch wenn wir erschüttert sind über die Unbegreiflichkeit von Stirlings Tod, können wir trotzdem so weitermachen, wie Gott und Stirling sich das von uns wünschen würden. Wir können unser Leben we i terleben, indem wir mit all unserer Kraft danach streben, Gott zu fürchten und seine Gesetze zu achten.«
    Ab da hörte ich nicht mehr zu. Er sprach fast eine ha l be Stunde lang, und das ist alles, woran ich mich erinn e re.
    »Was denkst du über Pater Dunstans Predigt?«, fragte Großmutter mich nach dem Gottesdienst. Ich wusste nicht, was ich darüber dachte. Mein Kopf war leer.
    Aber ich erinnerte mich an seine Worte. Und heute glaube ich, dass er mit dem, was er zu sagen versuchte, vielleicht Recht hatte.
     
    Auf dem Heimweg von der Kirche kam jemand stolpernd hinter uns hergelaufen. Wir gingen nur langsam, so als würden wir gegen starken Wind ankämpfen, aber jetzt hielten wir an und drehten uns um. Es war Maria, die ihr Baby an ihre Brust drückte. Sie blieb vor mir stehen und schien etwas sagen zu wollen, aber dann schüttelte sie den Kopf und starrte mich schweigend an.
    Sie war irgendwie verändert. Der kleine Anselm ballte die Faust und öffnete sie wieder. Ich beobachtete ihn und dachte, dass sogar er sich verändert hatte. Mir fiel plöt z lich ein, dass es kaum eine Woche her war, seit wir w e gen irgendeiner Belangl os igkeit gestritten hatten – ich und dieses Mädchen, das ich früher einmal gekannt hatte. Ich versuchte, mich zu erinnern, was es gewesen war, aber es fiel mir nicht ein.
    Sie sah mich noch immer an. »Leo, ich weiß nicht, was ich sagen soll«, begann sie schließlich. »Ich wollte mit dir reden, aber dann bist du an die Grenze gegangen. Leo, dass so etwas wirklich passiert sein kann …« Sie schüttelte den Kopf und verstummte.
    Ich sah zu, wie ihre Tränen zusammen mit meinen e i genen wie die ersten Tropfen eines Regenschauers auf die staubige Straße fielen. Ich beobachtete sie, als wären es die eines Fremden. Wann immer ich an diesen Tag zurückdenke, erinnere ich mich an ihn als etwas, das e i nem Fremden passiert ist. Nicht wegen der Jahre, die i n zwischen vergangen sind, sondern weil ich es damals so empfand.
    Großmutter nahm Marias Hand und hielt sie kurz, dann nahm Maria meine. Ich glaube, ich ließ es zu, aber ich weiß es nicht mehr genau.
    In diesem Moment dachte ich an den Tag, als der Schuldetektiv vorbeigekommen war, während Maria und ich zusammen im Wohnzimmer gesessen hatten, und daran, wie Großmutter später das Baby in ihren Armen gewiegt hatte. Und nun standen wir vier in Trauerkle i dung auf der Straße – Großmutter, in deren Falten sich die Tränen sammelten; Maria, die unbeherrscht schluch z te; das Baby, das sich so still und reglos verhielt, als würde es begreifen. Marias Haar war bedeckt, und sie hatte ihre Ohrringe abgelegt. Da begann ich, mich zu e r innern, was ich zu ihr gesagt hatte. Irgendetwas über Rechtschaffenheit und das Baby. Konnte ich so etwas gesagt haben? Ich wusste es nicht mehr. Der alte Leo lag noch immer hilflos gestrandet hinter dem Schock und dem Schweigen der letzten Tage und überlegte nun vage, ob er sich entschuldigen sollte.
    »Was ich da zu dir gesagt habe …« , setzte ich an, währen d d ie Tränen über mein Gesicht strömten. Ich hu s tete und fing noch mal an. »Damals, was ich da zu dir gesagt habe …«
    Beinahe verärgert schüttelte Maria den Kopf und griff wieder nach meiner Hand. »Nein, Leo, bitte nicht! Wie könnte das jetzt noch eine Rolle spielen?«
     
    Der nächste Tag war seltsam und leer. Ich stand auf und zog mich an, aber das kostete mich meine ganze Kraft, sodass ich mich anschließend wieder aufs Bett legte und zur Decke hochstarrte, während die Minuten vergingen. Großmutter kam mehrere Male herein, aber ich rührte mich nicht.
    »Steh auf, Leo!«, verlangte sie schließlich. »Lieg nicht da rum. Komm mit mir zum Markt.«
    Ich setzte mich auf und sah sie an.
    »Wir gehen raus!« Ihr Ton war nun etwas lebhafter. »Zieh deinen Mantel an.«
    Ich wollte

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