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Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia

Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia

Titel: Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Banner
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Stille Fieber. Egal, wie sehr ich mich bemühte zu sprechen, es kamen ei n fach keine Worte aus meinem Mund. Anschließend stür z te ich ins Nichts, bevor ich schließlich zitternd und schwitzend aufwachte.
    Doch ich schlief noch einmal ein, und diesmal hatte ich einen völlig anderen Traum. Ich saß Stirling gege n über am Tisch, und draußen schneite es so wie im D e zember; der Feuerschein vertrieb die ersten Vorboten der frühen Dämmerung, und ich begann, ihm das Lesen be i zubringen. Er reichte mir die Bibel, deutete auf einen Abschnitt, und ich las ihn vor. »Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde …«
    »Wie hast du so gut lesen gelernt, Leo?«, fragte er, als ich fertig war. Ich hörte seine Stimme so deutlich, dass ich glaubte, er würde wirklich mit mir sprechen, und ich schrak aus dem Schlaf hoch. Ich lächelte, während ich aufwachte, und erinnerte mich an den Traum. Vielleicht war es dumm, aber obwohl ich wusste, dass er tot war, hatte ich für einen Moment das Gefühl, er wäre noch immer da.
     
    Ich stand in dem farbigen Licht, das durch das Fenster hereinfiel, vorne in der Kirche am Lesepult und sprach die letzten Worte: »Und der Tod wird nicht mehr sein, noch Trauer, noch Klage, noch Leid, noch Schmerz. Denn was früher war, ist vergangen.« Meine Schritte hallten laut in der Stille wider, als ich anschließend zur vordersten Bank zurückging. Im hinteren Teil der Kirche begann Maria zu weinen. Ich ließ mich neben meine Großmutter sinken, und sie nahm meine Hand.
    »Ich bin sehr stolz auf dich, Leo«, flüsterte sie.
    Als ich vorlas, tat ich das nicht als ich selbst. Ich dac h te nicht darüber nach, dass Stirling tot war oder was die Worte bedeuteten. Ich las sie einfach. Ich dachte an nichts und schaffte es auf diese Weise, das Vorlesen zu überstehen. Auf diese Weise überstand ich die ganze A n dacht. Was der Grund ist, weshalb ich mich an fast gar nichts mehr erinnere. Ich kämpfte so hart dagegen an, nicht zu weinen, dass ich mich auf nichts anderes ko n zentrieren konnte. Vielleicht war das falsch von mir, aber damals sah ich keine andere Möglichkeit, diesen Traue r gottesdienst durchzustehen.
    Als Pater Dunstan mit seiner Predigt begann, versuc h te ich zuzuhören, aber ich blieb weiter abgelenkt. Ich überlegte, ob ich die Wohnungstür zugemacht hatte. Das war verrückt, weil ich zweimal zurückgegangen war, um sie zu überprüfen, und außerdem kümmerte es mich auch nicht, ob jemand einbrach – jetzt nicht mehr.
    »Wenn so eine Tragödie geschieht«, sagte Pater Du n stan gerade, »verändert das unser Leben auf unwiede r bringliche Weise. Wir können etwas so Furchtbares wie Stirlings Tod nicht erklären. Wir fangen an, alles infrage zu stellen. Nichts ergibt für uns noch einen Sinn. Mit den Worten des Verfassers des Buches Ekklesiastes gespr o chen, ist mit einem Mal alles nichtig. Angesichts eines solchen Verlusts kann plötzlich alles bedeutungslos we r den.
    Der Weise, der Verfasser dieses Buches, ist des L e bens überdrüssig. Er hat seine Ungerechtigkeit und U n erklärbarkeit gesehen. Er hat nach Wissen gestrebt und dabei nur die Nichtigkeit von allem entdeckt. Am Anfang des Buches scheint es kaum Hoffnung zu geben, doch im Verlauf erkennen wir einen neuen Sinn im Leben. Dieser Sinn heißt Gott. Der Weise argumentiert, dass ohne Gott alles nichtig ist.
    Was ist also seine Schlussfolgerung? Zu welcher E r kenntnis gelangt er nach seiner Überprüfung des Lebens? Am Ende des Buches ist sein Ergebnis recht einfach: › Fürchte Gott und achte seine Gesetze; denn das allein hat jeder Mensch nötig. ‹ Und das ist es, was ich denke, das wir tun müssen. Gott fürchten und seine Gesetze ac h ten.
    Es wäre für jeden von uns schwierig, eine Erklärung dafür zu finden, warum Stirling sterben musste – we l chem Zweck sein Tod dient. Aber ich bin überzeugt, dass es uns, wenn wir einst den Himmel erreichen, klar we r den wird. Gott fügt unserem irdischen Leben einen neuen Sinn hinzu, den wir im Moment nicht verstehen können. Doch was wir schon jetzt verstehen, ist das, was von uns erwartet wird.
    Gott will, dass wir mit unserem Leben weitermachen, auch wenn wir bisweilen nicht wissen, wohin es uns führt. Er will, dass wir die Worte des Weisen beachten. Obwohl wir manchmal selbst nicht erklären können, w a rum wir die uns auferlegte Aufgabe erfüllen, wissen wir dennoch, wie sie lautet. Gott zu fürc ht en und seine G e setze zu achten. In der Heiligen Schrift

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