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Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia

Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia

Titel: Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Banner
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anderen Seite und jeden Grashalm zwischen uns hinweg. Selbst meine Hand auf der Waffe schimmerte hell. Es machte mich schwindlig. Ich blieb reglos sitzen und beobachtete sie.
    Da drehte sie sich um und sah mich. »Was machst du hier?«
    In der Stille hörte ich ihre Stimme ganz deutlich. Mir wurde plötzlich klar, dass sie das Mädchen war, das ich mit Ahira gesehen hatte und das mich seit Wochen in meinen Träumen verfolgte.
    »Anna.« Ich stand auf, sah sie schweigend an, und sie erwiderte meinen Blick von der anderen Seite des Tals aus, eine gespenstische Gestalt, die in der Dunkelheit schimmerte. »Bis t d u ein Engel?« Sie antwortete nicht. »Wer bist du dann? Die Stimme?«
    »Was für eine Stimme?«
    »Bist du ein Geist? Bist du tot?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Wie kannst du das nicht wissen?«
    Und dann realisierte ich, dass ich selbst nicht wusste, ob ich lebte oder tot war. Vielleicht hatte ich tatsächlich abgedrückt. Es ist leicht, sich zu erschießen, selbst wenn man nicht wirklich die Absicht hat. Man braucht nur den kleinen Finger, um den Abzug zu ziehen.
    Als ich mir das vorstellte, verschwanden die Berge, und Ahira stürzte wieder zu Boden. Es war nicht nur eine Vision – es geschah direkt vor meinen Augen, und näher als zuvor. Ich schüttelte den Kopf. Es war nicht ich, der geschossen hat, dachte ich. Es war jemand, der von a u ßen meinen Willen kontrollierte. Ich hatte weder meiner Hand befohlen zu schießen, noch gewollt, dass die Kugel gerade fliegt. Vielleicht hatte sich ein echter Soldat i r gendwo in der Nähe in der Dunkelheit versteckt, und dann im selben Moment geschossen wie ich – jemand, der treffsicher schießen konnte und ans Töten gewöhnt war.
    »Was tust du da?«, fragte Anna auf der anderen Seite des schmalen Tals. Blinzelnd begann ich mich zu eri n nern, wo ich war, nämlich draußen in den Östlichen Be r gen, in diesem seltsamen Mondlicht, und nicht auf der morastigen Straße, wo ich zusah, wie Ahira vom Pferd stürzte.
    Ich antwortete nicht.
    »Erschieß dich nicht!«
    Ich umklammerte die Waffe fester. »Du kannst mich nicht davon abhalten.«
    »Nimm die Pistole von deinem Kopf weg.«
    »Warum? Es würde niemanden kümmern, wenn ich es tue.«
    »Woher weißt du das?«
    Ich zuckte mit den Schultern. »Es gibt Dinge, die weiß man einfach.«
    »Bitte nimm die Waffe runter.«
    Ich tat es, aber eigentlich nur, weil mir der Arm we h tat. Sie schritt jetzt den Abhang herunter auf mich zu. Nach kurzem Zögern ging ich ihr entgegen.
    »Warum wolltest du das tun?«, fragte sie. »Bitte, sag es mir.«
    Während der ganzen Zeit, die wir aufeinander zugi n gen, wandte sie nicht ein Mal den Blick von mir. Ich e r zählte ihr alles, was seit dem Tag geschehen war, an dem Stirling gestorben war. Schließlich blieben wir stehen und sahen uns über den Bach hinweg an. Das Wasser hatte das Mondlicht eingefangen und trug es in seinem hellen Kanal mit sich fort.
    Ich wechselte die Pistole von der rechten Hand in die linke und dann wieder zurück. »Willst du versuchen, mich davon abzuhalten?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann dich nicht davon abhalten.«
    »Was machst du hier draußen in den Bergen?«
    »Ich weiß es nicht. Vielleicht sterbe ich gerade. Es wurde plötzlich alles dunkel, und dann war ich hier.«
    Ich fuhr mit den Fingern über den kalten Pistolenlauf, ohne es wirklich zu bemerken. »Das hier ist nicht der Himmel …«
    »Nein.«
    Die Minuten verstrichen. Der Bach strömte zwischen uns vorbei. Nach einer Weile setzte ich mich ans Ufer, und sie kniete sich mir gegenüber hin. Ich starrte zu den Sternen empor. Sie schienen von ihrer Bahn abzuru t schen, so als ob sie nicht länger dort oben verankert w ä ren.
    »Glaubst du wirklich an den Himmel?«, fragte ich.
    »Wenn man daran nicht glaubt, woran sollte man dann überhaupt noch glauben?«
    »Aber das bedeutet nicht, dass es die Wahrheit ist. Sagst du nicht nur deshalb, dass du daran glaubst, weil du willst, dass es die Wahrheit ist?«
    »Nein, sondern weil die Menschen, wenn sie gesto r ben sind, nicht einfach verschwinden.«
    »Was soll das heißen?«
    »Dass es da noch etwas anderes gibt. Es ist eines di e ser Dinge, über die du vorhin gesprochen hast, diese Dinge, die man einfach weiß.«
    Ich richtete mich auf und sah sie an. »Das ist es, wo ich sein will – irgendwo anders. Vielleicht im Himmel, vermutlich in der Hölle. Ich habe genug von all dem hier. Ich will irgendwo anders sein.« Ich wollte irgendwo sein,

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