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Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia

Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia

Titel: Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Banner
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dich eigen t lich besuchen, Leo. Ich komme vorbei, sobald Anselm eingeschlafen ist.«
    Aber die Stunden vergingen, und ich konnte das Baby noch immer oben brüllen hören.
    An diesem Abend kehrte Großmutter noch vor Stirling aus der Kirche zurück. Ich machte ihr auf – und da kam auch schon mein Bruder, der sich mit Maria unterhielt. Sie winkte mir zu und lief dann zu unserer Tür hoch.
    »Hör zu, es tut mit leid, dass ich heute nicht vorbeig e kommen bin«, versicherte sie mir. »Anselm wollte ei n fach nicht einschlafen, und …«
    »Ich versteh schon«, antwortete ich, weil es das war, was sie hören wollte.
    »Danke, Leo. Das wusste ich.« Sie wirkte jetzt ohne das Baby viel weniger erschöpft, als sie die Stufen zu ihrer Wohnung hochsprang.
    Etwa fünf Minuten später fing das Geschrei an. Man muss schon sehr laut schreien, damit es durch die Decke dringt. Ich stand still und lauschte.
    »Ich bin nicht dein Kindermädchen!«, schimpfte M a rias Mutter. »Wenn dein Baby nicht einschlafen kann, bleibst du gefälligst bei ihm zu Hause.«
    »Du willst mir ständig vorschreiben, was ich zu tun habe, aber wenn du mir mal mit einer Kleinigkeit helfen könntest, beschwerst du dich!«
    »Ach so, eine Kleinigkeit! Du versuchst, ein Doppe l leben zu führen, Maria! Es ist deiner eigenen Dummheit zuzuschreiben, dass du jetzt die Verantwortung für ein Baby trägst, und trotzdem passe ich jeden Tag auf ihn auf, während du deine Freunde besuchst oder zum Markt gehst oder …«
    »Oder zur Kirche! Zur Kirche ! «
    » Ich wollte zur Kirche gehen, und ich war nicht so dumm, mich in die Lage zu bringen, Tag und Nacht ein Baby hüten zu müssen!«
    »Dumm? Willst du damit sagen, dass es meine Schuld war?«
    »Ja!« Anselms Weinen verstärkte sich zu einem u n gleichmäßigen, heiseren Schreien.
    »Meine Schuld? Bist du …«
    In diesem Moment kam Stirling ins Zimmer. »Leo, was machst du da?«, fragte er streng.
    »Nur … äh …« Ich ging zum Stuhl rüber und holte meine Jacke, so als wäre ich nur deshalb reingekommen.
    »Du solltest ihren Streit nicht belauschen. Er geht dich nichts an.«
    »In Ordnung, Pater.« Ich folgte ihm ins Wohnzimmer, wo man die Auseinandersetzung nicht hören konnte. »Bist du jetzt zufrieden?« Aber ich konnte nicht anders, als ihn anzulächeln. Die Art, wie er stets so ernsthaft ve r suchte, gut zu sein und das Richtige zu tun. »Du wirst ein guter Priester werden, Stirling, das schwöre ich.« Er fas s te es als Kompliment auf.
     
    Ich war den ganzen Abend über rastlos. »Warum liest du nicht irgendwas?«, fragte Großmutter und sah von ihrer Handarbeit auf.
    »Wenn es etwas zu lesen gäbe, würde ich es tun.«
    »Nimm die Zeitung. Ich bin fertig damit.«
    Ich hatte keine große Lust, die Zeitung zu lesen, aber ich diskutierte nicht. Ich nahm sie mit ins Schlafzimmer und las die Berichte über den Krieg an der Grenze. Das Gezeter in der Wohnung über uns war inzwischen ve r stummt, aber ich konnte das Baby noch immer weinen hören.
    Ich studierte gerade die Zahlen der Gefallenen, als Stirling hereingerannt kam, etwas aus seiner Kommode hervorkramte und es mir in die Hand drückte. Es war ein Buch.
    »Was ist das?«, fragte ich und drehte es um.
    »Das Buch, das Aldebaran geschrieben hat. Wir haben darüber gesprochen, weißt du noch? Die Prophezeiung.«
    Ich warf einen hastigen Blick in Richtung Wohnzi m mer. »Die Luft ist rein«, sagte er grinsend. »Großmutter ist unten bei Mrs. Blake. Wirst du es mir vorlesen? Du hast es ve r sprochen.«
     
    Ich legte die Zeitung weg und sah mir das Buch an. Es war sehr dünn und genau wie Die Goldene Regentschaft gebunden – wie ein Buch also, das sich oft verkaufen würde. Früher wurden alle Bücher auf diese Weise g e druckt; das galt selbst für diese großen Prophezeiungen, die sie anfangs für die Reichen wie Bibeln druckten. Als ich klein war, wurden jedes Jahr Tausende von Büchern gedruckt. Ich erinnere mich daran, dass mein Vater an der Wand über seinem Schreibtisch Listen und Tabellen mit den Titeln hatte.
    »Wirst du es mir vorlesen, Leo?«, drängelte Stirling.
    Ich tauchte wieder aus meinen Gedanken auf. »Na schön. Wann kommt Großmutter zurück?«
    »Frühestens in einer Stunde.« Er setzte sich neben mich.
    Ich begann zu lesen: » › Eine Prophezeiung des Lords Aldebaran , geschrieben im sechsten Jahr der Regen t schaft Cassius II. ‹ «
    Stirling hörte schweigend zu. Der Großteil des Textes bestand aus

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