Mansfield Park
Im Pfarrhaus waren sie jetzt nur noch ein trübseliges Trio – durch eine Reihe von Schnee-und Regentagen in ihre vier Wände eingeschlossen, ohne Zerstreuung und ohne Hoffnung auf die kleinste Abwechslung. So sehr sie Edmund zürnte, daß er seinem Vorsatz treu geblieben war und ihr offen Trotz bot (und sie war ihm so böse gewesen, daß sie sich auf dem Ball nicht als Freunde trennten), mußte sie doch jetzt, da er fern war, unaufhörlich an ihn denken. Ob sie wollte oder nicht – sie erinnerte sich ständig seiner Liebenswürdigkeit und seiner Zuneigung und sehnte sich immer stärker nach dem beinahe täglichen Zusammensein der letzten Zeit zurück. Sie fand, daß er seine Abwesenheit unnötig lange ausdehnte. Das hätte er ihr nicht antun dürfen – Mansfield eine volle Woche lang fernzubleiben, gerade wenn ihre eigene Abreise bevorstand! Allmählich begann sie sich selber Vorwürfe zu machen. Sie bereute jetzt, daß sie bei ihrem letzten Gespräch allzu heftig geworden war. Sie hatte, als sie vom geistlichen Stand sprach, einige starke – einige geradezu verächtliche Ausdrücke gebraucht, und das hätte nicht sein dürfen. Es war ungezogen und unrecht gewesen. Ach, hätte sie diese Worte doch niemals ausgesprochen!
Ihr Kummer ging nicht mit der Woche zu Ende. Es war schlimm genug gewesen, aber es wurde noch schlimmer, als der Freitag kam und Edmund nicht brachte – als es Samstag wurde und noch immer kein Edmund auftauchte – und als sie schließlich bei dem flüchtigen sonntäglichen Zusammentreffen mit der Familie erfuhr, Edmund hätte geschrieben, daß er seine Rückkehr aufschob; er habe seinem Freund zugesagt, noch ein paar Tage länger zu bleiben.
Wenn sie schon vorher von Reue und Ungeduld gequält wurde – wenn sie ihre scharfen Worte bereute und fürchtete, Edmund auf nicht wieder gutzumachende Weise verletzt zu haben, waren Reue und Angst jetzt zehnmal schlimmer. Außerdem hatte sie gegen eine unangenehme Regung anzukämpfen, die ihr gänzlich neu war – Eifersucht. Edmunds Freund, Mr. Owen, hatte Schwestern … Vielleicht fand Edmund sie anziehend? Aber jedenfalls dünkte sie sein absichtliches Fernbleiben zu einer Zeit, da er sie allen früheren Plänen nach schon beinahe in London vermuten mußte, ganz unerträglich. Wäre Henry, wie es abgemacht war, nach drei oder vier Tagen zurückgekommen, so wäre sie jetzt gerade daran, Mansfield zu verlassen! Kurz, es war unumgänglich notwendig, Fanny zu besuchen und allenfalls Näheres zu erfahren. Sie hielt es in dieser elenden Verlassenheit einfach nicht mehr aus! Und so marschierte sie entschlossen durch den Park, ohne der schlechten Wege zu achten, die sie noch vor einer Woche für unüberwindlich gehalten hatte, einzig um der Möglichkeit willen, etwas von ihm zu erfahren oder zumindest seinen Namen zu hören.
Die erste halbe Stunde war verlorene Zeit, denn Lady Bertram saß mit Fanny im Salon, und solange sie nicht mit Fanny allein sprechen konnte, war nichts zu erhoffen. Doch endlich verließ Lady Bertram das Zimmer, und Miss Crawford begann unverzüglich, in einem Ton, der möglichst gleichgültig klingen sollte: «Nun, und was sagen Sie dazu, daß Ihr Cousin so lange fortbleibt? Sie sind der einzige junge Mensch im Haus, Sie müssen am meisten darunter leiden. Sicher vermissen Sie ihn sehr. Überrascht es Sie nicht, daß er seine Rückkehr hinausschiebt?»
«Ich weiß nicht …» antwortete Fanny zögernd.
«Doch – ich hatte es eigentlich nicht erwartet.»
«Vielleicht bleibt er immer länger aus, als er sagt? Das ist so üblich. Jeder junge Mann pflegt das zu tun.»
«Edmund nicht – wenigstens hat er es nicht getan, als er Mr. Owen das letzte Mal besuchte.»
«Offenkundig gefällt es ihm diesmal besser dort. Er ist ja selbst ein sehr – ein sehr sympathischer junger Mann, und es tut mir wirklich leid, daß ich ihn vor meiner Abreise nicht mehr sehen werde. So wird es jetzt wohl kommen – ich erwarte Henry täglich, und sobald er eintrifft, hält mich nichts mehr in Mansfield zurück. Ich hätte Edmund nur vorher gerne noch einmal gesehen … Aber Sie werden ihm meine Empfehlungen ausrichten. Ja – ich denke, Empfehlungen ist das richtige Wort. Finden Sie nicht, Miss Price, daß in unserer Sprache ein Ausdruck fehlt – etwas zwischen Empfehlungen und – und Liebe – etwas, was dem freundschaftlichen Verkehr entspricht, der zwischen uns geherrscht hat? Wir kennen einander jetzt so viele Monate! Aber es muß wohl bei Empfehlungen
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