Mansfield Park
zufrieden, denn sie wußte ja schon, daß von Tante Norris nichts als üble Laune zu erwarten war. Übrigens war sie so selig, so gestärkt durch das beglückendste aller Gefühle, die Gewißheit, einem unglücklichen Zustand entronnen zu sein, daß noch weit mehr Gleichgültigkeit von seiten der anderen ihr nichts hätte anhaben können.
Vorerst blieb sie viel sich selbst überlassen, um auf eigene Faust das Haus und die nähere Umgebung zu erforschen, und verbrachte damit sehr vergnügt ihre Tage, während die beiden, die sich ihrer unter anderen Umständen angenommen hätten, sich ganz der Aufgabe widmeten, den Menschen Trost zu spenden, deren einzige Tröster sie waren. Edmund versuchte, über der Sorge um das Wohlbefinden seines Bruders seine eigenen schmerzlichen Gefühle zu vergessen, und Fanny widmete sich ganz ihrer Tante Bertram, indem sie all ihre früheren Pflichten mit vermehrtem Eifer wieder aufnahm; es schien ihr, sie könne einem Menschen, der sie offensichtlich so notwendig brauchte, gar nicht genug zuliebe tun.
Es war Lady Bertrams einziger Trost, mit Fanny über die furchtbare Geschichte zu sprechen und immer wieder die gleichen Bemerkungen und Klagen zu äußern. Ihr geduldig zuzuhören, ihr Mitgefühl und Sympathie zu bezeugen – das war alles, was man für sie tun konnte. Sie anderweitig zu trösten, war unmöglich, für einen solchen Fall gab es keinen Trost. Lady Bertrams Gedanken gingen nicht sehr tief, doch unter Sir Thomas’ Leitung hatte sie gelernt, in allen wesentlichen Fragen richtig zu denken. Sie erkannte die ganze Ungeheuerlichkeit des Geschehenen und versuchte weder selbst, die Schuld und die Schmach zu bagatellisieren, noch Fanny zu solchen Ansichten zu verleiten.
Ihre Gemütsbewegungen waren nicht heftig, ihr Geist nicht beharrlich. Nach einer Weile fand Fanny es nicht unmöglich, ihre Gedanken auf andere Dinge zu lenken und ihr wieder etwas Interesse an ihren gewöhnlichen Beschäftigungen einzuflössen. Doch wenn Lady Bertram an das Vorgefallene dachte, konnte sie es stets nur in dem gleichen Licht betrachten: sie hatte eine Tochter verloren, und die Schande war niemals wieder auszulöschen.
Fanny erfuhr von ihr alle Einzelheiten, die bis jetzt an den Tag gekommen waren. Lady Bertram war keine sehr systematische Berichterstatterin, doch mit Hilfe einiger Briefe an und von Sir Thomas und auf Grund dessen, was Fanny selbst schon wußte oder sich vernünftigerweise zusammenreimen konnte, war sie bald imstande, die Begleitumstände gründlicher, als ihr lieb war, kennenzulernen.
Maria war über Ostern nach Twickenham gereist, und zwar mit einer Familie, mit der sie erst seit kurzem intim befreundet war: Leute von angenehmer, lebhafter Wesensart, die offenbar auch die ihr zusagende Einstellung und Diskretion besaßen – denn ihr Haus stand Mr. Crawford jederzeit offen. Daß er sich in dieser Gegend aufgehalten hatte, war Fanny bereits bekannt. Mr. Rushworth war zum gleichen Zeitpunkt nach Bath gefahren, um dort einige Tage mit seiner Mutter zu verbringen und sie anschließend nach London zurückzubegleiten, so daß Maria die Gesellschaft ihrer neuen Freunde ohne jede Einschränkung genießen konnte. Nicht einmal Julia war bei ihr; sie war zwei oder drei Wochen früher zu entfernten Verwandten von Sir Thomas übersiedelt – ein Arrangement, das ihre Eltern jetzt nachträglich ihrem Wunsch zuschrieben, unbehindert mit Mr. Yates zu verkehren. Sehr bald nach der Rückkehr der Rushworths nach Wimpole Street hatte Sir Thomas einen Brief von einem alten, ihm besonders nahestehenden Freund aus London erhalten, der allerlei gehört und gesehen hatte, was ihn beunruhigte, und darum Sir Thomas nahelegte, selbst nach London zu kommen, um seine Tochter durch das ganze Gewicht seiner Autorität zu bewegen, einer Freundschaft ein Ende zu machen, die sie bereits peinlicher Nachrede aussetzte und offenbar auch schon Mr. Rushworth störend auffiel.
Ohne irgendeinem Menschen in Mansfield etwas von dem Inhalt des Briefes mitzuteilen, machte sich Sir Thomas daran, seinem Rat zu folgen, als er von dem gleichen Freund per Eilpost einen weiteren Brief erhielt, der ihn von der so gut wie ausweglos gewordenen Lage in Kenntnis setzte. Mrs. Rushworth hatte das Haus ihres Gatten verlassen. Mr. Rushworth war, in Zorn und Schmerz aufgelöst, zu ihm (Mr. Harding) gekommen, um seinen Rat zu erbitten. Mr. Harding fürchtete, es seien im besten Fall sehr schwerwiegende Unbesonnenheiten begangen worden. Die
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