Mansfield Park
Ganzen verschmolzen, daß jede einstige Kränkung nun ihren eigenen Reiz besaß. Das Zimmer war Fanny über alle Maßen lieb und wert, sie hätte seine Einrichtung nicht gegen die schönsten und kostbarsten Möbel im ganzen Haus vertauscht, obwohl das, was zu seiner besten Zeit nichts weiter als einfach und zweckmäßig gewesen, nun auch die Spuren der üblichen Mißhandlungen von Kinderhand zeigte. Die größten Prunkstücke waren ein verblichenes, von Julia gesticktes Fußkissen, das für den Salon nicht schön genug befunden wurde, und drei Transparente; sie waren in rasch verfliegender Begeisterung für diese Kunst verfertigt worden und schmückten nun die drei unteren Scheiben des einen Fensters, wo die Abtei von Tintern stolz ihren Platz zwischen einer italienischen Felsenlandschaft und einem mondbeschienenen schottischen See behauptete; ferner über dem Kamin eine Sammlung von Silhouetten der Familienmitglieder, die keines besseren Platzes für würdig befunden wurden, und daneben, mit Stecknadeln an der Wand befestigt, die Skizze eines Schiffs, die William vor vier Jahren vom Mittelmeer geschickt hatte und unter der, in Buchstaben höher als der Großmast, die Inschrift «H.M.S. Antwerp» prangte.
Diesen Zufluchtsort suchte Fanny jetzt auf, um seinen tröstlichen Einfluß auf ihr von Zweifeln zerrissenes Gemüt zu erproben, um zu sehen, ob der Anblick von Edmunds Profil ihr nicht Rat brächte oder ob sie beim Lüften ihrer Geranienstöcke nicht selbst einen Hauch von Seelenstärke erhaschte. Ach, was jetzt ihr Gemüt bewegte, war schlimmer als die Angst um ihre eigene Standhaftigkeit! Sie merkte voller Schrecken, daß sie selbst nicht mehr wußte, wo ihre Pflicht lag, und während sie sinnend im Zimmer umherwanderte, wurden ihre Zweifel immer quälender. Tat sie recht daran, zu verweigern, was so dringlich verlangt wurde und Menschen, denen sie jede Gefälligkeit schuldete, so innig am Herzen lag? Ließ sie sich nicht von Böswilligkeit, von Selbstsucht, von der Angst, sich bloßzustellen, verblenden? Edmunds Zustimmung und seine Überzeugung, daß Sir Thomas das ganze Theaterunternehmen mißbilligen würde – genügte das, um ihre störrische Weigerung, sich den Wünschen aller anderen zu fügen, zu rechtfertigen? Der Gedanke, Theater zu spielen, schien ihr so furchtbar, daß sie geneigt war, die Aufrichtigkeit und Reinheit ihrer eigenen Beweggründe in Frage zu stellen. Gebrauchte sie ihr Gewissen nicht nur als Vorwand, um sich einer verhaßten Pflicht zu entziehen? Jeder Blick, den sie durchs Zimmer schweifen ließ, bestärkte sie in der Überzeugung, daß sie ihren jungen Verwandten keine Gefälligkeit abschlagen dürfe, denn überall traf ihr Auge auf Geschenke, die sie im Lauf der Jahre von ihnen erhalten hatte. Auf dem Tisch zwischen den Fenstern reihten sich Nähkästchen und Stickkästchen, die hauptsächlich von Tom stammten, und sie fühlte sich überwältigt von der gewaltigen Schuldenlast, die alle diese Liebeszeichen verkörperten … Ein leises Klopfen an der Tür riß sie aus ihren ernsten Bemühungen, die wahre Pflicht zu erkennen, und auf ihr sanftes «Herein» trat just der Mensch ein, zu dem sie mit jedem Zweifel zu kommen pflegte. Ihre Augen leuchteten bei Edmunds Anblick auf.
«Kann ich einen Augenblick mit dir sprechen, Fanny?» fragte er.
«Natürlich!»
«Ich muß mich mit dir beraten. Ich will deine Meinung hören.»
«Meine Meinung!» rief sie erschrocken.
«Ja, deinen Rat und deine Meinung. Ich weiß nicht, was ich tun soll, Fanny. Wie du siehst, wird die Sache mit dem Theater immer ärger. Sie haben so ziemlich das schlimmste Stück gewählt, das sie wählen konnten, und um die Sache komplett zu machen, wollen sie jetzt auch noch einen jungen Mann heranziehen, den wir alle nur flüchtig kennen. Das ist das Ende der ganzen Unauffälligkeit und Diskretion, von der anfangs die Rede war. Ich weiß nichts Schlechtes von Charles Maddox, aber mir ist die große Vertraulichkeit bedenklich, die daraus entstehen muß, daß man ihn auf diese Weise in unseren Kreis zieht – mehr als Vertraulichkeit – Intimität. Ich kann nicht mit Gleichmut daran denken. Das Übel erscheint mir so groß, daß es mit allen nur möglichen Mitteln verhindert werden müßte. Findest du das nicht auch?»
«Ja, gewiß, aber was ist dagegen zu tun? Tom ist so unzugänglich!»
«Es gibt nur einen Ausweg, Fanny. Ich muß die Rolle selbst übernehmen. Tom ist auf keine andere Weise von seiner Idee abzubringen,
Weitere Kostenlose Bücher