Manta 02 - Orn
diese Erkenntnis konzentrierte sich Orn auf die Stelle, von der die meiste Beunruhigung ausging. Wenn die Quilon dort etwas wahrnehmen konnte, dann sollte er es auch können. Seine Augen waren besser als ihre. Und seine Nase auch.
Alles, was er fand, war ein unvertrautes Pilzgewächs: einen mächtigen Fliegenpilz. Er konnte seine Lebensgeschichte nicht sagen, da er sich zu stark von den ihm bekannten Arten unterschied. Er war nicht da gewesen, als sie mit dem Elas gekämpft hatten. Aber es war die Natur dieser Dinge, sehr schnell zu wachsen. Er bewegte sich.
Orn sah genau hin, um festzustellen, was ihn entwurzelt hatte, konnte aber keine Ursache erkennen. Es gab keinen Wind, und auch kein Tier war dagegen gestoßen. Der Boden hatte nicht gebebt. Kein Wasser hatte das Ufer überspült.
»Sie sind in Sicherheit!«
Die Quilon war glücklich. Es gefiel ihr zu sehen, wie sich der Fliegenpilz bewegte.
»Ist das Wasser jetzt frei?«
Sie machte Fragegeräusche. Orn war mehr und mehr in der Lage, ihre Eigenarten zu verstehen und ihre Absichten zu erkennen. Aber er wußte nie präzise, was sie wollte. Sie war klüger als die meisten Säuger, reichte aber nicht an Ornettes Niveau heran und war bedeutungslosen und vergänglichen Gesichtsausdrücken unterworfen.
Der Fliegenpilz verschwand.
Erstaunt verließ Orn das Ei für einen Augenblick und untersuchte den Boden, wo das Ding gewachsen war. Es sah so aus, als sei es vom Wind in die Höhe gehoben worden, nur daß gar kein Wind da war. Sicher hatte die Quilon das Phänomen beobachtet. Pflanzen bewegten sich niemals aus eigenem Antrieb!
»Circe überprüft die Gegend. Wir müssen diesen Felsen verlassen, Orn. Das können wir aber nicht, solange die Reptilien in der Nähe sind. Ich glaube, ich komme mit dem Ei zurecht, wenn das Wasser nicht zu tief ist und wir nicht angegriffen werden. Circe kann uns führen.«
Orn fragte sich, ob vielleicht diese fortwährenden Geräusche den männlichen Säuger zum Weggehen veranlaßt hatten. Sie waren ganz sicher irritierend, wenn man an das Problem der Nahrungsbeschaffung und die Bewachung des Eis gegen bekannte und unbekannte Bedrohungen dachte. Schließlich hatten sie diesem Geschnatter schon den folgenschweren Besuch des Elas zu verdanken gehabt.
Der Fliegenpilz erschien wieder, herangeweht wie ein Farnwedel vom Wind. Jetzt, wo Orn wußte, wonach er zu suchen hatte, sah er ihn ganz deutlich. Seine Eigenschaften widersprachen allem, was ihm seine Erinnerungen sagten. Aber nach und nach war er imstande zu akzeptieren, daß sich dieser Fungus irgendwie völlig isoliert von seinen Ahnen entwickelt hatte. Genauso wie sich die alltäglichen Säuger im Laufe der Jahrtausende voneinander getrennt und sich zu vielen völlig unähnlichen Arten entwickelt hatten, war es auch mit ihm gewesen. Vielleicht war es ausschließlich in diesem Tal passiert, das nie einer seiner eigenen Art besucht hatte. So war die absolute Fremdartigkeit des Pilzes, die sich ihm zuerst nur als vager Schrecken vermittelt hatte, gar nicht so unheimlich. Eine Kreatur, deren Metabolismus dem einer Pflanze ähnelte, die aber so aktiv war wie ein Tier. Eine Kreatur ohne Flügel, die flog. Jetzt, da sein Bewußtsein die zwangsläufige Evolution dieser Spezies erklärt hatte - ein Fungus, der zuerst nach organischer Nahrung griff, dann danach sprang und schließlich von solchen Bewegungen abhängig war, um seinen Lebensunterhalt zu sichern -, konnte er sie akzeptieren.
Genauso wie ein Säuger so groß werden konnte wie ein kleines Reptil und fortwährende Geräusche machte, so konnte ein Fungus ein fliegender Fliegenpilz werden.
Das Ding hatte sich wieder in den Boden gepflanzt, und die Quilon machte ihre Geräusche in seine Richtung. Vielleicht hatten sich die beiden seltsamen Spezies, Säuger und Fungus, gemeinsam entwickelt und konnten sich miteinander verständigen. Eine solche Verbindung würde nicht bemerkenswerter sein als all das, was er in dieser veränderten Welt schon beobachtet hatte.
Die Quilon sah ihn an. »Circe sagt, daß es da jetzt eine tiefe und tückische Spalte zwischen uns und der Hauptinsel gibt. Der Seeboden muß sich dort geöffnet haben, und wir kommen nicht hinüber, es sei denn wir schwimmen. Aber ich kann nicht schwimmen, wenn ich das Ei halte. Ich meine, ich könnte es versuchen, aber das kalte Wasser würde den Embryo töten. Aber Circe sagt, daß die Bucht zwischen uns und dem Festland seicht ist, vielleicht nur brusttief für mich. Das
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