Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mantel, Hilary

Mantel, Hilary

Titel: Mantel, Hilary Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Woelffe
Vom Netzwerk:
Gott«, sagt Henry. »Das
erschüttert mich. Wie lange, glauben Sie, hält meine Geduld noch an?«
    Er zögert zu sagen: Sie leben
immer noch mit Ihrer Frau. Sie teilen sich ein Dach, einen Hof; wo immer Sie
gemeinsam hingehen, nimmt sie den Platz der Königin ein, Sie den Platz des
Königs; Sie haben dem Kardinal gesagt, sie sei ihre Schwester, nicht ihre Frau
- aber wenn Sie heute nicht gut schießen, wenn der Wind ungünstig steht oder
Ihre Augen plötzlich tränen und Sie nichts sehen, haben Sie nur Schwester Katherine,
der sie es erzählen können; Anne Boleyn können Sie keine Schwäche und keinen
Misserfolg eingestehen.
    Er hat Henry während der
Übungsrunde genau beobachtet. Auf seine Aufforderung hin nimmt auch er einen
Bogen zur Hand, was einige Bestürzung in den Reihen der Herren auslöst, die auf
dem Gras verstreut sind und an Bäumen lehnen, gekleidet in Seidenstoffe mit
Fallobstfarben wie Maulbeere, Gold und Pflaume. Obwohl Henry gut schießt, bewegt
er sich nicht wie ein geborener Bogenschütze; der geborene Bogenschütze legt
seinen ganzen Körper in den Bogen. Man muss ihn nur einmal mit Richard Williams
vergleichen, der jetzt Richard Cromwell ist. Sein Großvater ap Evan war ein
Künstler mit dem Bogen. Er hat sie nie gesehen, würde aber darauf wetten, dass
er feste lange Muskeln hatte und dass jeder einzelne von den Fersen aufwärts
benutzt wurde. Wenn er den König so betrachtet, kommt er zu dem Schluss, dass
sein Urgroßvater nicht der Bogenschütze Blaybourne war, wie erzählt wird,
sondern Richard, Herzog von York. Sein Großvater war königlichen Geblüts;
seine Mutter war königlichen Geblüts; er schießt wie ein Gentleman-Amateur, und
er ist durch und durch König.
    Der König sagt: Sie haben
einen guten Arm, ein gutes Auge. Geringschätzig erwidert er: ach, bei dieser
Entfernung. Wir haben jeden Sonntag einen Wettbewerb, sagt er, mein Haushalt.
Wir hören die Predigt in St Paul's und dann geht es nach Moorfields hinaus, wo
wir die anderen Mitglieder der Gilden treffen und die Metzger und Lebensmittelhändler
vernichtend schlagen, und dann essen wir zusammen zu Abend. Wir liefern uns
erbitterte Zweikämpfe mit den Weinhändlern ...
    Henry dreht sich impulsiv zu
ihm um: und wenn ich einmal mitkommen würde? Wenn ich in Verkleidung kommen
würde? Die einfachen Leute würden das mögen, oder nicht? Ich könnte für Sie
schießen. Ein König sollte sich hin und wieder zeigen, glauben Sie nicht auch?
Es wäre vergnüglich, ja?
    Nicht sehr, denkt er. Er kann
es nicht beschwören, aber er glaubt, Henry hat Tränen in den Augen. »Wir würden
ganz sicher gewinnen«, sagt er. So etwas würde man zu einem Kind sagen. »Die
Weinhändler würden brüllen wie die Bären.«
    Es fängt an zu nieseln, und
als sie auf eine schützende Baumgruppe zugehen, überschattet ein Blattmuster
das Gesicht des Königs. Er sagt:
    Nan droht damit, mich zu
verlassen. Sie sagt, es gibt noch andere Männer, und sie verschwendet ihre
Jugend.
     
    Norfolk - panisch - in der
letzten Oktoberwoche 1530: »Hören Sie zu. Dieser Kerl hier«, unhöflich zeigt er
mit dem Daumen in Richtung Brandon - er ist wieder am Hof, natürlich ist er
wieder da - »dieser Kerl hier, vor ein paar Jahren hat er den König im Turnier
angegriffen und fast getötet. Henry hatte sein Visier nicht geschlossen, Gott
allein weiß, warum — aber so etwas passiert. Mylord hier stieß seine Lanze -
wumm! - in den Helm des Königs, und die Lanze zerbrach - einen Zoll, einen Zoll von seinem Auge entfernt.«
    Norfolk hat sich durch die
Wucht seiner Demonstration an der rechten Hand wehgetan. Mit schmerzverzerrtem
Gesicht, aber wütend, ernst fährt er fort. »Ein Jahr später folgt Henry seinem
Falken - so eine zerfurchte Landschaft, flach, trügerisch, Sie wissen schon -
und er kommt an einen Graben, er rammt einen Stab hinein, damit er ihn besser
überqueren kann, das höllische Teil bricht durch, Gott verdamme es, und da
liegt seine Majestät benommen und mit dem Gesicht nach unten in einem Fuß
Wasser und Schlamm, und wenn nicht irgendein Diener ihn herausgeholt hätte,
nun, meine Herren, mir schaudert bei dem Gedanken.«
    Er denkt: Damit ist eine Frage
beantwortet. Im Falle der Gefahr darf ich ihm hochhelfen. Ihn rausfischen. Was
auch immer.
    »Angenommen, er stirbt?«, will
Norfolk wissen. »Angenommen, ein Fieber rafft ihn dahin oder er fällt vom Pferd
und bricht sich den Hals? Dann was? Sein Bastard, Richmond? Ich habe nichts
gegen ihn, er ist

Weitere Kostenlose Bücher