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Mantel, Hilary

Mantel, Hilary

Titel: Mantel, Hilary Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Woelffe
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April, Ostersonntag, erscheint
Anne mit dem König beim Hochamt, und man betet für sie als Königin von England.
Sein Gesetz ist erst gestern vom Parlament verabschiedet worden; er erwartet
eine bescheidene Belohnung, und bevor die königliche Gruppe hineingeht, um das
Fasten zu brechen, winkt ihn der König zu sich und gibt ihm Lord Berners' alten
Posten, den des Schatzkanzlers. »Berners selbst hat Sie vorgeschlagen.« Henry
lächelt. Er macht gerne Geschenke; wie ein Kind freut er sich darauf zu sehen,
wie glücklich der Beschenkte ist.
    Während der Messe wandern
seine Gedanken durch die City. Welche übel riechenden Gänseställe erwarten ihn
wohl zu Hause? Welche auf der Straße ausgetragenen Streitigkeiten, welche
Babys, die auf Kirchenstufen abgelegt wurden, welche aufrührerischen
Lehrlinge, mit denen er bitte ein Wörtchen reden soll? Haben Alice und Jo
Ostereier bemalt? Sie sind inzwischen zu erwachsen, aber sie sind damit
zufrieden, die Kinder des Hauses zu sein, bis die nächste Generation kommt. Es
ist Zeit, dass er sich nach Ehemännern für sie umsieht. Wenn sie noch lebte,
könnte seine Anne inzwischen verheiratet sein, und das mit Rafe, weil er noch
nicht vergeben ist. Er denkt an Helen Barre; wie schnell sie mit dem Lesen
vorankommt und wie unentbehrlich sie in Austin Friars geworden ist. Er glaubt
jetzt, dass ihr Mann tot ist, und er denkt, ich muss mit ihr reden, ich muss
ihr erzählen, dass sie frei ist. Sie ist zu anständig, als dass sie Freude
darüber zeigen würde, aber welche Frau möchte nicht gerne wissen, dass sie
einem solchen Mann nicht mehr ausgesetzt ist.
    Die ganze Messe über redet
Henry, ein beständiges Murmeln und Summen. Er sortiert Papiere und reicht sie
durch die Reihe an seine Ratgeber weiter; nur bei der Konsekration wirft er
sich in fieberhafter Ehrfurcht auf die Knie, als das Wunder stattfindet und
eine Oblate Gott wird. Sobald der Priester sagt: »Ite, missa est«, flüstert Henry ihm zu: Kommen
Sie in mein Gemach, allein.
    Aber zuerst müssen die versammelten
Höflinge ihre Verbeugung vor Anne machen. Ihre Damen rauschen zurück und lassen
sie auf einem kleinen Fleck in der Sonne allein. Er beobachtet sie, beobachtet
die Herren und die Mitglieder des Kronrats, unter denen an diesem Festtag viele
Freunde des Königs aus Kindertagen sind. Er beobachtet insbesondere Sir
Nicholas Carew; seiner Ehrerbietung für seine neue Königin mangelt es an
nichts, aber er kann nicht verhindern, dass sich seine Mundwinkel nach unten
ziehen. Mach ein passendes Gesicht, Nicholas Carew, mach dein uraltes
Familiengesicht. Er hört Anne sagen: Das sind meine Feinde; er setzt Carew auf
die Liste.
    Hinter den Staatsgemächern
liegen die privaten Räume des Königs, die nur seine Vertrauten sehen, wo er von
seinen Gentlemen bedient wird und wo er frei von Botschaftern und Spionen sein
kann. Es ist Henry Norris' Revier, und Norris gratuliert ihm höflich zu seiner
neuen Aufgabe und geht auf leisen Sohlen davon.
    »Sie wissen, dass Cranmer ein
Gericht einberufen soll, um eine formale Auflösung der ...« Henry hat gesagt,
er will nichts mehr über seine Ehe hören, sodass er nicht einmal das Wort
ausspricht. »Ich habe ihn gebeten, in dem Priorat in Dunstable
zusammenzukommen, weil es - wie viele? - zehn, zwölf Meilen von Ampthill
entfernt ist, wo sie untergebracht
ist, und so kann sie ihre Anwälte schicken, wenn sie will. Oder selbst vor
Gericht erscheinen. Ich möchte, dass Sie sie aufsuchen, im Geheimen, reden Sie
einfach mit ihr ...«
    Vergewissern Sie sich, dass
sie keine Überraschungen in petto hat.
    »Lassen Sie Rafe bei mir,
während Sie fort sind.« Er wird mit solcher Leichtigkeit verstanden, dass sich
der König entspannt, seine Laune wird besser. »Ich kann mich darauf verlassen,
dass er sagt, was Cromwell sagen würde. Sie haben da einen guten Mann. Und es
gelingt ihm besser als Ihnen, ein ernstes Gesicht zu machen. Ich sehe Sie, wenn
wir im Rat sitzen, und Sie halten sich die Hand vor den Mund. Manchmal möchte
ich selbst lachen, wissen Sie.« Er lässt sich in einen Sessel fallen und legt
die Hände vors Gesicht, als wolle er seine Augen abschirmen. Offenbar ist der
König den Tränen nahe, schon wieder. »Brandon sagt, meine Schwester stirbt. Es
gibt nichts mehr, was die Ärzte noch für sie tun können. Sie wissen doch, wie
blond ihr Haar einmal war, Haare wie Silber - meine Tochter hatte sie auch. Mit
sieben war sie das Abbild meiner Schwester, wie eine gemalte Heilige an

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