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Mantel, Hilary

Mantel, Hilary

Titel: Mantel, Hilary Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Woelffe
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von Bordüren in vitruvischen
Farben, Quecksilber und Zinnober, gebranntes Ocker, Malachit, Indigo und
Violett. Er entrollt die Skizzen, die die Handwerker gemacht haben. Minervas
Eule breitet ihre Flügel auf einem Paneel aus. Eine barfüßige Diana legt einen
Pfeil in ihren Bogen. Eine weiße Hirschkuh steht zwischen den Bäumen und
beobachtet sie. Er schreibt eine Anweisung für den Vorarbeiter: Der Pfeil soll in Gold
hervorgehoben werden. Alle Göttinnen haben dunkle Augen. Wie eine Flügelspitze aus dem
Dunkeln streift ihn die Furcht: und wenn Anne stirbt? Henry wird eine andere
Frau wollen. Er wird sie in diese Räume bringen. Ihre Augen könnten blau sein.
Wir werden die Gesichter abtragen und neu malen müssen, im Hintergrund
dieselben Städte, dieselben violetten Hügel.
    Draußen bleibt er stehen, um
einen Kampf zu beobachten. Ein Steinmetz und der Vorarbeiter der Maurer
prügeln sich mit Latten. Er steht im Kreis bei den Männern mit der Traufei.
»Worum geht es?«
    »Nix. Steinmetze und Maurer
bekämpfen sich eben.«
    »Wie Lancaster und York?«
    »Genau so.«
    »Haben Sie je von dem Feld
gehört, das Towton heißt? Der König sagt mir, dass dort mehr als zwanzigtausend
Engländer gestorben sind.«
    Der Mann starrt ihn mit
offenem Mund an. »Gegen wen haben die gekämpft?«
    »Gegeneinander.«
    Es war Palmsonntag, das Jahr
1461. Die Armeen zweier Könige trafen im Schneetreiben aufeinander. König
Edward, der Großvater des Königs, war der Sieger, sofern man sagen kann, dass
es einen Sieger gab. Leichen bildeten eine schaukelnde Brücke über den Fluss.
Unzählige Männer krochen davon, sie fielen und wälzten sich im eigenen Blut:
einige erblindet, einige entstellt, einige lebenslang zum Krüppel gemacht.
    Das Kind in Annes Leib ist die
Garantie gegen weiteren Bürgerkrieg. Er ist der Beginn, der Anfang von etwas,
das Versprechen eines anderen Landes.
    Er geht zwischen die Kämpfer.
Er bellt sie an, dass sie aufhören sollen. Er gibt beiden einen Schubs und sie
kippen nach hinten: zwei morsche Engländer mit zerbrechlichen Knochen und
kreidigen Zähnen. Die Sieger von Azincourt. Er ist froh, dass Chapuys nicht da
ist, um das zu sehen.
     
    Die Bäume stehen in vollem
Laub, als er in inoffizieller Mission mit kleinem Gefolge nach Bedfordshire
reitet. Christophe reitet neben ihm und lässt ihm keine Ruhe: Sie haben gesagt,
dass Sie mir erzählen, wer Cicero ist und wer Reginald Pole ist.
    »Cicero war ein Römer.«
    »Ein General?«
    »Nein, das hat er anderen
überlassen. Wie ich es zum Beispiel Norfolk überlassen könnte.«
    »Oh, Norferk.« Christophe
unterwirft den Herzog seiner seltsamen Aussprache. »Das ist einer, der auf Ihren
Schatten pisst.«
    »Du meine Güte, Christophe!
Ich habe allerdings schon gehört, dass jemand einen Schatten anspuckt.«
    »Ja, aber wir sprechen von
Norferk. Und Cicero?«
    »Wir Anwälte versuchen, all
seine Reden auswendig zu lernen. Wenn irgendein Mann heutzutage mit Ciceros
gesamter Weisheit im Kopf herumlaufen würde, wäre er ...« Was wäre er? »Cicero
wäre auf der Seite des Königs«, sagt er.
    Christophe ist nicht sehr
beeindruckt. »Pole, ist der General?«
    »Priester. Das stimmt nicht
ganz... Er hat Ämter in der Kirche, aber er ist nicht geweiht.«
    »Warum nicht?«
    »Zweifellos, damit er heiraten
kann. Es ist sein Blut, das ihn gefährlich macht. Er ist ein Plantagenet.
Seine Brüder sind hier in diesem Königreich, und wir haben sie im Blick. Aber
Reginald ist im Ausland, und wir befürchten, dass er sich mit dem Kaiser
verschwört.«
    »Schicken Sie jemanden, der
ihn tötet. Ich mach das.«
    »Nein, Christophe, ich brauche
dich, damit der Regen meine Hüte nicht ruiniert.«
    »Wie Sie meinen.« Christophe
zuckt mit den Schultern. »Aber ich töte einen Pole, wenn Sie wollen. Wird mir
eine Freude sein.«
    Das Herrenhaus in Ampthill,
einst befestigt, hat luftige Türme und ein großartiges Pförtnerhaus. Es steht
auf einem Hügel mit Ausblick auf bewaldete Landschaft; es ist ein hübscher
Sitz, die Art von Haus, die man nach einer Krankheit aufsuchen würde, wenn man
wieder zu Kräften kommen will. Es wurde mit Geld gebaut, das in den französischen
Kriegen verdient wurde, in jenen Tagen, als die Engländer sie noch gewannen.
    Im Einklang mit Katherines
neuem Status als verwitwete Prinzessin von Wales hat Henry ihren Haushalt
beschnitten, trotzdem ist sie immer noch umgeben von Kaplänen und
Beichtvätern, von Haushaltsbeamten mit ihrem eigenen Stab von

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