Mantel, Hilary
Garderobe, und deshalb muss er nehmen, was er
kriegen kann. Es ist Herbst, und obwohl er ein gewichtiger Mann ist, spürt er
die Kälte.
Sie werfen Truhen um und
kippen den Inhalt aus. Briefe von Päpsten, Briefe von den Gelehrten Europas
liegen auf dem Boden verstreut: aus Utrecht, aus Paris, aus San Diego de Compostela;
aus Erfurt, aus Straßburg, aus Rom. Sie packen seine Evangelien ein und nehmen
sie für die Bibliotheken des Königs mit. Die Texte sind schwer zu tragen, und
außerdem sind sie merkwürdig, so als ob sie atmeten; die Seiten sind aus
Antikpergament von totgeborenen Kälbern hergestellt und der Illuminator hat die
Adern in Schattierungen von Ultramarin und Blattgrün wiederbelebt.
Sie nehmen die Tapisserien
herunter und lassen die blanken Wände zurück. Sie werden zusammengerollt, die
Monarchen aus Wolle, Salomon und Saba; auf diese Weise einander näher
gebracht, verschränken sich ihre Blicke, und ihre winzigen Lungen atmen die
Fasern von Bäuchen und Schenkeln ein. Herunter kommen die Jagdbilder des Kardinals,
die Bilder weltlichen Vergnügens: ausgelassene Bauern, die in Teichen
planschen, in die Enge getriebene Hirsche, Spaniel an seidenen Leinen und
englische Doggen mit Stachelhalsbändern; die Jäger mit ihren Nietengürteln und
Messern, die Damen zu Pferd mit adretten Kappen, der von Binsen umstandene
Teich, die sanften Schafe auf der Weide und die blau schimmernden Baumwipfel,
die sich in eine dunstige Ferne erstrecken bis hin zu einer Szenerie aus
Kreidefelsen und einem weiß dahingleitenden Himmel.
Der Kardinal blickt auf die
Aasgeier, während sie zu Werke gehen. »Haben wir Erfrischungen für unsere
Besucher?«
In den beiden großen Räumen,
die an die Galerie grenzen, haben sie Tische aufgestellt. Jeder ist zwanzig Fuß
lang, und sie bringen noch mehr herein. In der Schatzkammer haben sie das Goldgerät
des Kardinals, seine Juwelen und Edelsteine ausgelegt, lesen seine
Bestandslisten und rufen das Gewicht des Goldes aus. Im Sitzungssaal stapeln
sie sein Silber und das, was teilweise vergoldet ist. Weil alles verzeichnet
ist, bis hin zum eingedellten Topf in der Küche, haben sie Körbe unter die Tische
gestellt, in die sie jeden Gegenstand werfen können, an dem der König
vermutlich keinen Gefallen finden wird. Sir William Gascoigne, der
Schatzmeister des Kardinals, läuft geschäftig zwischen den Räumen hin und her,
redet und lenkt die Aufmerksamkeit der Bevollmächtigten auf jede Ecke, jeden
Schrank und jede Truhe, von denen er meint, sie hätten sie übersehen.
Ihm trottet George Cavendish
hinterher, der Hausmarschall des Kardinals; sein Gesicht ist blank vor
Entsetzen. Sie bringen die Ornate des Kardinals heraus, seine
Prozessionsmäntel. Sie scheinen von alleine zu stehen, so voller Stickereien,
übersät mit Perlen und Edelsteinen sind sie. Die Plünderer hauen jedes einzelne
Gewand um, als würden sie Thomas Becket umhauen. Sie verzeichnen es auf der
Liste, und nachdem sie es auf die Knie gezwungen und ihm das Rückgrat gebrochen
haben, werfen sie es in ihre Kisten. Cavendish zuckt zusammen: »Um Gottes willen,
meine Herren, legen Sie diese Truhen mit einer doppelten Lage Kambrik aus. Sie
zerstören die Handarbeit, für die die Nonnen ein Leben lang gebraucht haben!«
Er dreht sich um: »Master Cromwell, glauben Sie, wir können diese Leute
loswerden, bevor es dunkel wird?«
»Nur, wenn wir ihnen helfen.
Wenn es getan werden muss, können wir wenigstens dafür sorgen, dass sie es
ordentlich tun.«
Es ist ein unanständiges
Spektakel: Der Mann, der England regiert hat, wird entwürdigt. Sie haben Ballen
von feinem Rohhalbleinen angeschleppt, Samt und grob gerippte Seide, Sarsenett
und Taft, meterweise Scharlachrot: die scharlachrote Seide, in der er der
Sommerhitze Londons entgegentritt, den purpurroten Brokat, der sein Blut warmhält,
wenn Schnee auf Westminster fällt und in Wirbeln über die Themse fegt. In der Öffentlichkeit
trägt der Kardinal Rot, ausschließlich Rot, aber von verschiedener Dichte,
verschiedener Webart, verschiedener Intensität von Farbstoff und Färbung, jedes
jedoch das Beste seiner Art, die besten Rots, die für Geld zu haben sind. Es
hat Tage gegeben, da kam er in voller Pracht heraus und sagte: »Gut, Master
Cromwell, schätzen Sie meinen Preis pro Yard!«
Und er sagte darauf: »Lassen
Sie sehen«, umkreiste den Kardinal langsam, sagte: »Darf ich?« und nahm ein
Stück des Ärmels zwischen seine fachkundigen Finger; dann trat er zurück
Weitere Kostenlose Bücher