Mantel, Hilary
unten. »Ich vermute,
Sie sind Cromwell?« Wenn ein Mann in diesem Ton mit dir spräche, würdest du ihn
auffordern, nach draußen zu treten, und jemand anders bitten, deinen Mantel zu
halten.
Tag zwei: Anne wird nach
Westminster gebracht. Er ist vor dem ersten Licht auf den Beinen, er steht auf
den Zinnen und sieht zu, wie sich über dem Ufer von Bermondsey dünne Wolken
zerstreuen und eine frühe Kälte so klar wie Wasser von einer beständigen
goldenen Hitze abgelöst wird.
Ihr Zug wird vom Gefolge des
französischen Botschafters angeführt. Die Richter in Scharlachrot folgen, die
Ritter vom Bathorden in altertümlich geschnittenem Blauviolett, dann die
Bischöfe, Lordkanzler Audley und sein Gefolge, die großen Lords in purpurrotem
Samt. Sechzehn Ritter tragen Anne in einer weißen, mit Silberglocken behängten
Sänfte; bei jedem Schritt, bei jedem Atemzug läuten sie; die Königin trägt
Weiß, ihr Körper schimmert in seiner fremden Haut, das Gesicht zeigt ein
kontrolliertes ernstes Lächeln, ihr Haar ist offen unter einem Kranz von
Edelsteinen. Nach ihr kommen Damen auf Zeltern, die mit weißem Samt geschmückt
sind, und steinalte adlige Witwen in ihren Wagen, die Gesichter angesäuert.
An jeder Biegung des Weges
gibt es Schauspiele und lebende Statuen, Rezitationen, die Annes Tugend
preisen, Goldgeschenke aus den Schatztruhen der City und ihre Bilddevise: der
gekrönte weiße Falke mit den Rosen. Unter den Schritten der kräftigen Sechzehn
werden Blüten zerdrückt und zerkleinert, sodass Duft wie Rauch aufsteigt. Entlang
der Strecke hängen Gobelins und Banner; er, Cromwell, hat angeordnet, dass der
Boden unter den Pferdehufen mit Kies bedeckt wird, damit sie nicht ausrutschen;
die Massen werden hinter Absperrungen zurückgehalten, um Krawall und Gedränge
zu verhindern; jeder Polizeibeamte, den London aufzubieten hat, befindet sich
in der Menge; denn wenn sich die Zuschauer später an das Ereignis erinnern und
Leuten davon erzählen, die nicht dabei waren, soll niemand sagen können: Oh,
Königin Annes Krönung, das war der Tag, an dem ich von einem Taschendieb
bestohlen wurde. Fenchurch Street, Leadenhall, Cheapside, Paul's Churchyard, Fleet, Temple Bar,
Westminster Hall. Aus so vielen Brunnen fließt Wein, dass es schwer ist,
einen zu finden, aus dem Wasser fließt. Und auf all das sehen die anderen
Londoner hinab: die Ungeheuer, die in der Luft leben, die ungezählten Bewohner
der Stadt aus Stein; Männer und Frauen und Tiere und Wesen, die weder Mensch
noch Tier sind; fliegende Hasen und solche mit Fangzähnen, vierbeinige Vögel
und geflügelte Schlangen, Kobolde mit hervorquellenden Augen und
Entenschnäbeln, Männer, die von Blättern umschlungen sind oder die Köpfe von
Ziegen- oder Schafböcken haben; Kreaturen mit wirren Locken und Lederflügeln,
mit haarigen Ohren und Pferdefüßen, gehörnt und brüllend, gefedert und geschuppt;
einige lachen, einige singen, einige fletschen die Zähne; Löwen und Mönche,
Esel und Gänse, Teufel mit Kindern im Maul, die sie hinunterschlingen, sodass
nur noch die hilflos zappelnden Füße zu sehen sind; aus Kalkstein oder Blei,
Metall oder Marmor kreischen und kichern sie über den Bewohnern der Stadt, sie
johlen und grimassieren und würgen auf Stützpfeilern, Mauern und Dächern.
An diesem Abend kehrt er mit
Erlaubnis des Königs nach Austin Friars zurück. Er besucht seinen Nachbarn
Chapuys; dieser hat sich von den Ereignissen des Tages abgesondert, die Läden
verriegelt und die Ohren gegen die Fanfaren und das zeremonielle Kanonenfeuer
zugestopft. Er kommt in einer kleinen spaßhaften Prozession, die von Thurston
angeführt wird, und bringt dem Botschafter Zuckerwerk, um seinen Groll zu
mildern, und feinen italienischen Wein, den ihm der Herzog von Suffolk
geschickt hat.
Chapuys begrüßt ihn, ohne zu
lächeln. »Nun, Sie hatten Erfolg, wo der Kardinal gescheitert ist, und Henry
hat endlich bekommen, was er wollte. Zu meinem Herrn, der diese Dinge
unvoreingenommen betrachten kann, sage ich: Aus Henrys Sicht ist es
jammerschade, dass er nicht schon vor Jahren auf Cromwell zurückgegriffen hat.
Seine Angelegenheiten wären viel besser vorangegangen.« Er will gerade sagen:
Der Kardinal hat mich alles gelehrt, aber Chapuys lässt ihn nicht zu Wort
kommen. »Wenn der Kardinal an eine geschlossene Tür kam, hat er ihr
geschmeichelt - oh, du schöne, nachgiebige Tür! Dann versuchte er trickreich,
sie zu öffnen. Und Sie sind genauso, ganz genauso.« Er
Weitere Kostenlose Bücher