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Mantel, Hilary

Mantel, Hilary

Titel: Mantel, Hilary Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Woelffe
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geleitet von kluger Gier. Als  Sohn
seines vorsichtigen Vaters kennt er alle Familien Englands und weiß, was sie
besitzen. Er hat ihre Pachtgüter bis hin zum letzten Wasserlauf und Wäldchen im
Kopf. Jetzt, da er die Kontrolle über das Vermögen der Kirche erlangen soll,
muss er erfahren, welchen Wert es hat. Das Gesetz, das festlegt, wer was
besitzt - das Gesetz im Allgemeinen -, hat eine parasitäre Komplexität
angenommen - es ist wie ein Schiffsrumpf voller Rankenfüßer, ein vor lauter
Moos schleimiges Dach. Aber es gibt genügend Juristen, und wie viel Begabung
braucht es schon, um etwas nach Anweisung abzukratzen? Engländer sind
vielleicht abergläubisch, sie haben vielleicht Angst vor der Zukunft,
vielleicht wissen sie nicht, was England ist, aber die Fähigkeit des Addierens
und Subtrahierens ist recht verbreitet. Westminster hat tausend kratzende
Federn, aber Henry wird neue Männer brauchen, denkt er, neue Strukturen, neue
Denkweisen. Unterdessen schickt er, Cromwell, seine Bevollmächtigten auf die
Reise. Valor
ecclesiasticus. Ich schaffe es in sechs Monaten, sagt er. Eine solche Aufgabe ist noch
nie zuvor angegangen worden, das stimmt, aber er hat bereits viel getan, von
dem noch nie jemand auch nur geträumt hat.
    An einem Tag im Vorfrühling
kommt er unterkühlt aus Westminster zurück. Sein Gesicht tut so weh, als lägen
seine Knochen frei und wären dem Wetter ausgesetzt, und seine Erinnerung wird
geplagt von dem Tag, an dem sein Vater ihn in die Kopfsteine stampfte: sein
Blick zur Seite auf Walters Stiefel. Er möchte zurück nach Austin Friars, denn
dort hat er Ofen installieren lassen, und das ganze Haus ist warm; das Haus in
der Chancery Lane ist nur stellenweise warm. Außerdem möchte er hinter seiner
Mauer sein.
    Richard sagt: »Ihre
Achtzehnstundentage, Sir, können nicht ewig so weitergehen.«
    »Der Kardinal hat sie
bewältigt.«
    In dieser Nacht reist er im
Schlaf nach Kent. Er inspiziert die Bücher von Bayham Abbey, die auf Wolseys
Befehl geschlossen werden soll. Die feindseligen Gesichter der Mönche schweben
über ihm, sie lassen ihn fluchen und zu Rafe sagen: Pack diese Bücher auf das
Maultier, wir überprüfen sie beim Abendessen mit einem Glas weißem Burgunder.
Es ist Hochsommer. Sie reiten, und das Maultier stapft hinter ihnen her; sie
nehmen eine Route durch die vernachlässigten Weingärten des Klosters, tauchen
mit dem Pfad in eine waldige Dämmerung ein, in eine Höhlung aus breitblättrigem
Grün im Grund des Tals. Er sagt zu Rafe: Wir sind wie zwei Raupen, die durch
einen Salat gleiten. Sie reiten wieder hinaus in eine Flut von Sonnenlicht,
und vor ihnen liegt der Turm von Scotney Castle: Seine Sandsteinmauern, golden
mit grauen Tupfen, schimmern über dem Wassergraben.
    Er wacht auf. Hat er von Kent
geträumt oder war er dort? Das leichte Kribbeln der Sonnenstrahlen ist noch auf
seiner Haut. Er ruft nach Christophe.
    Nichts passiert. Er liegt
still. Keiner kommt. Es ist früh: kein Laut aus dem Haus unter ihm. Die
Fensterläden sind geschlossen, und die Sterne versuchen einzudringen, mit
Stahlspitzen bohren sie sich in das Holz. Ihm fällt auf, dass er nicht wirklich
nach Christophe gerufen hat, er hat das nur geträumt.
    Gregorys viele Lehrer haben
ihm ein Bündel Rechnungen präsentiert. Der Kardinal steht am Fuß seines Bettes
und trägt all seine Pontifikalien. Der Kardinal wird zu Christophe, der die
Fensterläden öffnet und sich im Gegenlicht bewegt. »Haben Sie Fieber, Master?«
    Das müsste er doch eigentlich
wissen? Muss ich denn alles machen, alles wissen? »Ach, es ist das
italienische«, sagt er, als würde es dadurch belanglos.
    »Als o müssen wir einen
italienischen Arzt holen?« Christophe klingt unschlüssig.
    Rafe ist da. Der ganze
Haushalt ist da. Charles Brandon ist da, den er für echt hält, bis Morgan
Williams hereinkommt, und der ist tot; William Tyndale kommt auch, und der ist
im English House in Antwerpen und traut sich nicht raus. Auf der Treppe kann
er das tüchtige, tödliche Klacken der Stahlkappenstiefel seines Vaters hören.
    Richard Cromwell brüllt:
Können wir ein bisschen Ruhe hier haben? Wenn er brüllt, hört er sich
walisisch an; er denkt: An einem normalen Tag hätte ich das nie bemerkt. Er
schließt die Augen. Damen bewegen sich hinter seinen Lidern: durchsichtig wie
kleine Eidechsen schlagen sie mit den Schwänzen. Die Schlangenköniginnen von
England, sie haben schwarze Fangzähne und schleifen hochmütig ihre

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