Mantel, Hilary
blutbefleckten
Laken und knisternden Röcke hinter sich her. Sie töten ihre eigenen Kinder und
essen sie auf; das ist allgemein bekannt. Sie saugen ihnen das Mark aus, bevor
sie überhaupt geboren werden.
Jemand fragt ihn, ob er
beichten möchte.
»Muss ich?«
»Ja, Sir, sonst hält man Sie
für einen Sektierer.«
Aber meine Sünden sind meine
Stärke, denkt er; die Sünden, die ich begangen habe, zu denen andere nicht
einmal die Gelegenheit hatten. Ich behalte sie, sie gehören mir. Außerdem habe
ich die Absicht, mit einem Memorandum in der Hand vor dem Jüngsten Gericht zu
erscheinen, und ich werde zu meinem Schöpfer sagen: Ich habe hier fünfzig
Punkte, möglicherweise mehr.
»Wenn ich beichten muss, nehme
ich Rowland.«
Bischof Lee ist in Wales,
sagen sie ihm. Es könnte Tage dauern.
Dr Butts kommt mit anderen
Ärzten, ein ganzer Schwarm, den der König geschickt hat. »Es ist ein Fieber,
das ich in Italien bekommen habe«, erklärt er.
»Sagen wir mal, so ist es.« Über
ihm runzelt Butts die Stirn.
»Wenn ich sterbe, holen Sie
Gregory. Ich muss ihm Dinge sagen. Aber wenn ich nicht sterbe, unterbrechen Sie
seine Studien nicht.«
»Cromwell«, sagt Butts, »ich
könnte Sie nicht töten, selbst wenn ich Sie mit einer Kanone beschießen würde.
Das Meer würde Sie zurückweisen. Bei einem Schiffbruch würden Sie an Land
gespült.«
Sie sprechen über sein Herz;
er hört sie. Er denkt, das sollten sie nicht: Das Buch meines Herzens ist ein
privates Buch, es ist kein Auftragsbuch, das auf dem Tresen liegt und in das
jeder vorbeikommende Schreiber etwas hineinkritzeln kann. Sie geben ihm eine
Medizin, die er schlucken muss. Kurz darauf kehrt er zu seinen Hauptbüchern
zurück. Die Zeilen rutschen immer wieder weg, und die Zahlen vermischen sich,
und sobald er eine Spalte zusammengerechnet hat, löst sich die Summe wieder auf
und aller Sinn wird subtrahiert. Aber er versucht es und versucht es und
addiert und addiert, bis das Gift oder der Arzneitrank ihn aus seinem Griff
entlässt und er aufwacht. Die Seiten der Hauptbücher stehen immer noch vor
seinen Augen. Butts glaubt, dass er seiner Anordnung Folge leistet und sich
ausruht, aber in der Abgeschlossenheit seines Kopfes klettern kleine
Strichmännchen mit Tintenarmen und Tintenbeinen aus den Hauptbüchern und
spazieren umher. Sie tragen Feuerholz für den Küchenherd herbei, aber das
Fleisch, fertig zur Zubereitung, verwandelt sich in Hirsche zurück, die sich
unschuldig an Baumrinden reiben. Die Singvögel für das Frikassee befedern sich
wieder, hüpfen zurück auf die Zweige, die noch nicht zu Feuerholz gemacht
worden sind, und der Honig zum Marinieren ist zu der Biene zurückgekehrt, und
die Biene ist in den Stock zurückgekehrt. Er kann die Geräusche hören, die
unten im Haus gemacht werden, aber es ist ein anderes Haus in einem anderen
Land: das Klimpern von Münzen, die den Besitzer wechseln, und das Kratzen von
Holztruhen, die über einen Steinboden gezogen werden. Er kann seine eigene
Stimme hören, die eine Geschichte auf Toskanisch, auf Putney, in dem Französisch
des Feldlagers und in dem Latein eines Barbaren erzählt. Vielleicht ist es
Utopia? Utopia ist eine Insel, und im Zentrum gibt es einen Ort namens
Amaurotum, die Stadt der Träume.
Die Anstrengung, die Welt zu
entziffern, hat ihn erschöpft. Die Anstrengung, den Feind anzulächeln, hat ihn
erschöpft.
Thomas Avery kommt aus dem
Kontor herauf. Er setzt sich zu ihm und hält seine Hand. Hugh Latimer kommt und
sagt Psalmen auf. Cranmer kommt und sieht ihn zweifelnd an. Vielleicht hat er
Angst, dass er in seinem Fieber fragt: Wie geht es Ihrer Frau Grete dieser
Tage?
Christophe sagt zu ihm: »Ich
wünschte, Ihr früherer Herr, der Kardinal, wäre hier, um Sie zu trösten, Sir.
Er war ein tröstlicher Mann.«
»Woher willst du das wissen?«
»Ich habe ihn beraubt, Sir. Wussten
Sie das nicht? Ich habe sein Goldgerät gestohlen.«
Es kostet Anstrengung, aber er
setzt sich auf. »Christophe? Du warst der Junge in Compiegne?«
»Aber sicher. Die Treppen rauf
mit einem Eimer heißes Wasser für das Bad, und wieder runter mit einem Goldbecher
in dem leeren Eimer. Es hat mir leid getan, ihn zu berauben, er war so gentil. »Was, du schon wieder mit
deinem Eimer, Fabrice?« Sie müssen wissen, Fabrice war mein Name in Compiegne.
>Gebt diesem armen Kind eine Mahlzeit<, sagte er. Zum ersten Mal in
meinem Leben habe ich Aprikosen probiert.«
»Aber sie haben dich nicht
erwischt?«
»Mein
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