Mantel, Hilary
lediglich über den
Heiratsantrag. »Sie muss etwas anderes gemeint haben.«
Er zuckt mit den Achseln;
schwer zu sagen. »Der Herzog von Norfolk würde über uns herfallen wie ein
Rudel Wölfe«, sagt Rafe. »Er würde kommen und unser Haus in Brand stecken.« Er
schüttelt den Kopf.
»Aber das Kneifen. Gibt es
Abhilfe?«
»Eine Rüstung. Ganz klar«,
sagt Rafe.
»Das könnte Fragen aufwerfen.«
»Mary guckt inzwischen keiner
mehr an.« Er fügt anklagend hinzu: »Außer Ihnen.«
Als der päpstliche Legat in
London eintrifft, wird der quasi-königliche Haushalt der Anne Boleyn aufgelöst.
Der König möchte den Fall nicht komplizieren; Kardinal Campeggio ist gekommen,
um sich mit den Zweifeln an seiner Ehe mit Katherine zu befassen, und Henry beharrt
darauf, dass diese gar nichts mit den Gefühlen zu tun haben, die er eventuell
für Lady Anne empfindet. Sie wird nach Hever verfrachtet, und ihre Schwester
geht mit ihr. Ein Gerücht erreicht London, dass Mary schwanger sei. Rafe sagt:
»Mit Verlaub, Master, sind Sie sicher, dass Sie sich nur an die Wand gelehnt
haben?« Die Familie des toten Ehemannes sagt, dass es nicht sein Kind sein
könne, und der König streitet es auch ab. Es ist traurig zu sehen, wie
bereitwillig die Leute davon ausgehen, dass der König lügt. Wie nimmt Anne es
auf? Sie wird Zeit haben, ihren Groll zu überwinden, solange ihr ländliches
Exil andauert. »Mary wird blau und schwarz gekniffen werden«, sagt Rafe.
In der ganzen Stadt erzählen
die Leute ihm den Klatsch, ohne überhaupt zu wissen, dass das Gerede ihn stark
interessiert. Es macht ihn traurig, es wirft Zweifel auf, Fragen über die
Boleyns. Alles, was zwischen ihm und Mary vorgefallen ist, sieht und hört er
jetzt in einem anderen Licht. Es überläuft ihn kalt bei dem Gedanken, was
passiert wäre, wenn er geschmeichelt gewesen wäre, empfänglich, wenn er ja
gesagt hätte. Dann wäre er vielleicht bald Vater eines Kindes geworden, das
überhaupt nicht wie ein Cromwell aussähe, sondern wie ein Tudor. Bewundernswert,
wie schlau das war. Mary mag wie eine Puppe aussehen, aber sie ist nicht dumm. Als
sie die Galerie entlangrannte und ihre grünen Strümpfe zeigte, hatte sie die
Beute fest im Blick. Für die Boleyns sind andere Leute dazu da, benutzt und
weggeworfen zu werden. Die Gefühle anderer bedeuten nichts, auch nicht ihr
guter Ruf, der Name ihrer Familie.
Er lächelt bei dem Gedanken,
dass die Cromwells einen Namen haben. Oder einen guten Ruf, den sie
verteidigen müssen.
Was immer geschehen ist, es
folgt nichts daraus. Vielleicht hat Mary sich geirrt, oder es war nur boshaftes
Gerede; Gott weiß, dass die Familie Bosheit herausfordert. Vielleicht gab es
ein Kind, und sie hat es verloren. Die Geschichte verläuft im Sande, hat keinen
Schluss. Es gibt kein Kind. Es ist wie eins dieser eigenartigen Märchen des
Kardinals, wo die Natur verkehrt wird und Frauen Schlangen sind und nach Belieben
erscheinen und verschwinden.
Königin Katherine hatte ein
Kind, das verschwand. Im ersten Jahr ihrer Ehe mit Henry hatte sie eine
Fehlgeburt, die Ärzte hatten sogar gesagt, dass sie Zwillinge erwarte, und der
Kardinal selbst erinnert sich daran, dass er sie bei Hofe mit gelockerten
Miedern und einem heimlichen Lächeln im Gesicht gesehen hat. Für die
Niederkunft begab sie sich in ihre Gemächer; nach einiger Zeit kam sie fest
verschnürt wieder heraus: mit flachem Bauch und ohne Baby.
Es muss eine Tudor-Spezialität
sein.
Ein wenig später hört er, dass
Anne die Vormundschaft für den Sohn ihrer Schwester übernommen hat, für Henry
Carey. Er fragt sich, ob sie die Absicht hat, ihn zu vergiften. Oder
aufzufressen.
Neujahr 1529: Stephen Gardiner
ist in Rom und bringt bei Papst Clemens gewisse Drohungen im Namen des Königs
vor; der Inhalt der Drohungen ist dem Kardinal nicht mitgeteilt worden.
Clemens ist selbst in guten Zeiten leicht in Panik zu versetzen, und angesichts
der Tatsache, dass Master Stephen ihm Schwefel ins Ohr bläst, verwundert es
nicht, dass er krank wird. Es heißt, er wird sterben, und die Bevollmächtigten
des Kardinals sind überall in Europa unterwegs, sondieren Terrains, zählen
Köpfe und klimpern fröhlich mit ihren Geldbeuteln. Das Problem des Königs
könnte schnell gelöst werden, wenn Wolsey Papst wäre. Der Kardinal nörgelt ein
wenig angesichts der potenziellen Ehre, denn er liebt sein Land, die Maikränze,
den zarten Gesang der Vögel. In seinen Albträumen sieht er untersetzte
Italiener, die
Weitere Kostenlose Bücher