Mantel, Hilary
versammelt. Der König
folgt seinem Aufruf und spricht mit voller, dröhnender Stimme, die aus seiner
großen, mit Juwelen geschmückten Brust kommt. Er, Cromwell, hätte zu einer kleinen
Geste geraten, zu einer leisen Stimme, einem winzigen Beugen des Kopfes vor der
Autorität des Gerichts. Seiner Meinung nach ist die Demut meist geheuchelt;
aber die Heuchelei kann gewinnbringend sein.
Der Saal ist brechend voll. Er
und Rafe schauen aus großer Entfernung zu. Später, nachdem die Königin ihre
Aussage gemacht hat - ein paar Männer haben geweint -, treten sie hinaus in den
Sonnenschein. Rafe sagt: »Wären wir näher dran gewesen, hätten wir erkennen können,
ob der König in der Lage war, ihr in die Augen zu sehen.«
»Ja. Das ist wirklich alles,
was man wissen muss.«
»Es tut mir leid, das sagen zu
müssen, aber ich glaube Katherine.«
»Pst! Glaube niemandem.«
Jemand steht ihnen im Licht.
Es ist Stephen Gardiner, schwarz und missmutig; die Reise nach Rom hat seine
Erscheinung keineswegs verbessert.
»Master Stephen!«, sagt er.
»Wie war Ihre Heimreise? Nicht angenehm, wie, mit leeren Händen
zurückzukehren? Ich hatte Mitleid mit Ihnen. Ich nehme an, Sie haben Ihr Bestes
getan, so wie die Dinge liegen.«
Gardiners mürrischer
Gesichtsausdruck verstärkt sich. »Wenn dieses Gericht dem König nicht geben
kann, was er will, wird Ihr Herr am Ende sein. Und dann bin ich es, der Mitleid
mit Ihnen hat.«
»Nur dass Sie keines haben
werden.«
»Nur dass ich keines haben
werde«, räumt Gardiner ein und geht weiter.
Die Königin kehrt nicht
zurück, als sich das Verfahren den peinlichen Aspekten zuwendet. Ihr Anwalt
spricht für sie; sie hat ihrem Beichtvater berichtet, dass sie unberührt aus
den Nächten mit Arthur hervorging, und sie hat ihm erlaubt, das Beichtgeheimnis
zu brechen und diese Behauptung öffentlich zu wiederholen. Sie hat vor dem
höchsten Gericht gesprochen, das es gibt, Gottes Gericht; würde sie lügen und
so die Verdammnis ihrer Seele herbeiführen?
Überdies gibt es noch etwas,
das alle im Kopf haben. Nachdem Arthur gestorben war, wurde sie potenziellen
Heiratskandidaten - dem alten König, steht zu vermuten, oder dem jungen Prinzen
Henry - als Frischfleisch angeboten. Sie hätten einen Arzt schicken können, um
sie zu untersuchen. Sie hätte sich gefürchtet und geweint, aber sie hätte sich
gefügt. Vielleicht wünscht sie jetzt, dass es so gewesen wäre; dass sie einen
fremden Mann mit kalten Händen geschickt hätten. Aber sie haben nie von ihr
verlangt zu beweisen, was sie behauptete; vielleicht waren die Menschen damals
nicht so schamlos. Die Dispense für ihre Ehe mit Henry waren dazu bestimmt,
beide Fälle abzudecken: Sie war/war keine Jungfrau. Die spanischen Dokumente
unterscheiden sich von den englischen Dokumenten, und genau dort sollten wir
jetzt sein, in den Klauseln und Nebensätzen, dort sollten wir Papier und Tinte
untersuchen, statt vor Gericht über einen Hautfetzen und Blutspritzer auf
einem Leinenlaken zu streiten.
Wenn er ihr Rechtsberater
gewesen wäre, hätte die Königin im Gerichtssaal bleiben müssen, sosehr sie
auch protestiert hätte. Würden die Zeugen ihr wirklich ins Gesicht sagen, was
sie hinter ihrem Rücken reden? Sie hätte sich geschämt, ihnen
gegenüberzutreten, diesen gekrümmten und ergrauten, aber durch die Bank mit
einem großartigen Erinnerungsvermögen ausgestatteten Zeugen; er hätte die
Königin dazu gebracht, sie herzlich zu begrüßen und zu erklären, sie habe sie
gar nicht wiedererkannt, weil so viel Zeit verstrichen sei; dann hätte sie gefragt,
ob sie Enkelkinder haben und ob die Sommerhitze ihre Wehwehchen lindere? Und
dann hätten sie sich mehr geschämt als Katherine: Wäre es ihnen möglich
gewesen, nicht zu zögern, nicht ins Stocken zu kommen, wenn die Königin sie mit
ihren ehrlichen Augen fest angesehen hätte?
Ohne Katherines Anwesenheit
wird der Prozess zu einem schlüpfrigen Spektakel. Der Earl von Shrewsbury ist
im Gericht, ein Mann, der bei Bosworth mit dem alten König gekämpft hat. Er
kann sich an seine eigene lang zurückliegende Hochzeitsnacht erinnern, als er
wie Prinz Arthur ein Junge von fünfzehn war; hatte noch nie eine Frau gehabt,
sagt er, erfüllte aber meine Pflicht. In Arthurs Hochzeitsnacht hatten er und
der Earl von Oxford den Prinzen in Katherines Gemach gebracht. Ja, sagt der
Marquis von Dorset, und ich war auch da; Katherine lag unter der Decke, der
Prinz legte sich neben sie. »Keiner will
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