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Mantel, Hilary

Mantel, Hilary

Titel: Mantel, Hilary Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Woelffe
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Erleichterung zeigt sich auf seinem Gesicht. »Willkommen,
willkommen«, sagt er. »Meine Herren: der Botschafter des Kaisers.«
    Es ist Eustache Chapuys, der
zusammen mit dem Dessert eintrifft; der neue Botschafter, so nennt man ihn,
obwohl er seinen Posten schon im Herbst angetreten hat. Er bleibt auf der
Schwelle stehen, sodass sie ihn wahrnehmen und bewundern können: ein kleiner,
gekrümmter Mann in einem geschlitzten und bauschigen Wams; blauer Satin, unterlegt
mit schwarzem; darunter seine kurzen schwarzen spindeldürren Beine. »Ich
bedaure die Verspätung«, sagt er. Er lächelt affektiert. »Les depeches, toujours les
depeches.«
    »So ist das Leben eines
Botschafters.« Er sieht auf und lächelt. »Thomas Cromwell.«
    »Ah, c'est le juif errant!«
    Sofort entschuldigt sich der
Botschafter, wobei er in die Runde lächelt, als sei er verwirrt über den
Anklang, den sein Witz findet.
    Nehmen Sie Platz, nehmen Sie
Platz, sagt Bonvisi, und die Diener wirbeln herum, säubern geschwind die Tafel,
die Gesellschaft gruppiert sich informeller, ausgenommen der Lordkanzler, der
dort sitzen bleibt, wo er sitzt. Eingemachte Herbstfrüchte werden aufgetragen,
dazu Gewürzwein, und Chapuys bekommt den Ehrenplatz neben More.
    »Lassen Sie uns Französisch
sprechen, meine Herren«, sagt Bonvisi.
    Französisch ist zufällig die
Muttersprache des Botschafters des Heiligen Römischen Reiches und Spaniens;
und wie jeder andere Diplomat wird er sich niemals die Mühe machen, Englisch
zu lernen, denn was nützt ihm das auf seinem nächsten Posten? Sehr freundlich,
sehr freundlich, sagt er, als er sich auf dem geschnitzten Stuhl zurücklehnt,
den der Gastgeber für ihn geräumt hat; seine Füße reichen nicht ganz bis zum
Boden. Jetzt wacht More auf; er und der Botschafter stecken die Köpfe zusammen.
Er beobachtet sie, sie erwidern verärgert seinen Blick, aber sollen sie doch.
    In einer winzigen Pause
unterbricht er ihr Gespräch. »Monsieur Chapuys? Wissen Sie, vor kurzem habe
ich mit dem König über die bedauerlichen Vorfälle gesprochen, als die Truppen
Ihres Herrn die Heilige Stadt plünderten. Vielleicht können Sie uns ins Bild
setzen? Wir verstehen das nämlich immer noch nicht.«
    Chapuys schüttelt den Kopf.
»Außerordentlich bedauerliche Vorfälle.«
    »Thomas More glaubt, es waren
die heimlichen Mohammedaner in Ihrer Armee, die wild geworden sind - ach, und
natürlich meine Leute, die wandernden Juden. Aber davor sagte er, dass es die
Deutschen waren, die Lutheraner; sie haben die armen Jungfrauen vergewaltigt
und die Heiligtümer geschändet. Auf jeden Fall müsse der Kaiser sich aber
selbst die Schuld geben, wie der Lordkanzler meint. Wie ist es, wem sollten wir
die Schuld zuweisen? Sind Sie in der Lage, uns zu helfen?«
    »Mein lieber Kanzler, Sir!«
Der Botschafter ist entsetzt. Seine Augen heften sich auf Thomas More. »Haben
Sie so von meinem kaiserlichen Herrn gesprochen?« Er wirft kurz einen Blick
über die Schulter und verfällt ins Lateinische.
    Die Gesellschaft, sprachlich
gewandt, sitzt und lächelt ihn an. Er gibt freundlich einen Rat: »Wenn Sie
halbwegs verschwiegen sprechen möchten, versuchen Sie es mit dem Griechischen. Allez, Monsieur Chapuys, nur zu! Der
Lordkanzler wird Sie verstehen.«
    Bald darauf löst sich die
Gesellschaft auf; der Lordkanzler erhebt sich zum Gehen, aber vorher gibt er
noch eine Erklärung für alle ab - auf Englisch. »Master Cromwells Position«,
sagt er, »ist unhaltbar, so erscheint es mir. Er ist kein Freund der Kirche,
wie wir alle wissen, aber er ist der Freund eines einzelnen Priesters. Und
dieser Priester ist der korrupteste der Christenheit.«
    Mit einem knappen Nicken
verabschiedet er sich. Selbst Chapuys wird nicht weiter bedacht. Der
Botschafter sieht ihm zweifelnd nach, beißt sich auf die Lippe, als wolle er
sagen: Aus dieser Ecke habe ich mehr Hilfe und Freundschaft erwartet. Ihm fällt
auf, dass Chapuys sich bei allem wie ein Schauspieler verhält. Wenn er denkt, schlägt
er die Augen nieder und legt zwei Finger an die Stirn. Wenn er betrübt ist,
seufzt er. Wenn er verwundert ist, wackelt er mit dem Kinn und lächelt ein
wenig. Wie ein Mann, der versehentlich in ein Stück geraten ist und feststellt,
dass es sich um eine Komödie handelt, der sich entschließt, zu bleiben und es
zu Ende zu bringen.
     
    Das Essen ist vorüber; die
Gesellschaft verschwindet langsam in der frühen Dunkelheit. »Vielleicht früher,
als Sie gewünscht hätten?«, sagt er zu

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