Mantelkinder
konnte doch nicht … Du hast nicht versagt, Susanne. Die hätten dich doch in die Klapsmühle gesteckt und …“ Er grinste plötzlich. „Ich hatte einfach keine Lust, mich auf einen neuen Partner einzustellen.“
„Jetzt sag nicht, du arbeitest gern mit der eisigen Braun zusammen?“
„Mit der nicht unbedingt. Aber wenn du es bist …“
„Verstehe.“ Sie nickte ernst. Dann deutete sie mit dem Kopf in die Richtung der weißen Gestalten. „Was meinst du?“
Hellwein legte die Hände aufs Lenkrad und folgte ihrem Blick. „Wenn das da hinten Sonja Böhm ist …“
„… bleiben uns zehn Tage“, vollendete Susanne düster und stieg aus dem Wagen.
********
Karin stieß einen leisen Seufzer aus und die Kieselaugen leuchteten. Auch Chris sah gebannt zwischen den Streben des schmiedeeisernen Tors hindurch. Auf dem grasbewachsenen Hang dahinter stand ein leicht windschief aussehendes Haus, das bis zum Dach mit Efeuranken überwuchert war. Die kleinen Sprossenfenster hatte man akkurat freigeschnitten, und vor dem Erker in Parterre stand ein etwas verloren aussehender Gartenzwerg. Rechts neben dem Grundstück lag ein verfallener Bauernhof, gegenüber stand ein Haus neueren Datums, aus dessen Haustür eine ältere Frau neugierig herüberblickte.
Als Theo gestern Abend angerufen und von einem „Haus in Alt-Hürth“ gesprochen hatte, waren die Bedenken bei Chris groß gewesen. Obwohl Hürth gleich vor den Toren Kölns begann, war das für ihn schon tiefste Provinz, wo jeder jeden kannte und das größte Ereignis des Jahres das Sportfest mit anschließendem Besäufnis war. Wahrscheinlich würde es kein Kino, keinen Supermarkt und keine Buchhandlung geben, und im Herbst musste man achtgeben, dass man nicht in Schlamm und Kuhscheiße versank.
Nun — diese Befürchtungen hatten sich schon auf der Fahrt hierher zerstreut. Ganz in der Nähe waren ein großes Einkaufszentrum, eine Straßenbahnlinie und ein Kinocenter. Im Ortskern befand sich ein kleiner Supermarkt, und Kühe hatte er auch noch nicht gesehen.
Bedenken in eine andere Richtung waren geblieben: Häuser hatten Treppen, und Treppen stellten für Karin eine Herausforderung dar. Aber sie wollte es unbedingt besichtigen. „Lass es uns ansehen“, sagte sie. „Vielleicht ist es ja so geschnitten, dass ich nicht dauernd rauf und runter muss.“
Es war so geschnitten. Das sahen sie schon beim ersten Rundgang mit der Tochter der verstorbenen Besitzerin. Im ersten Stock befanden sich drei Zimmer und das Bad. Unten waren zwei Zimmer, eine große Wohnküche und eine Gästetoilette. Wenn man im Parterre also Karins Arbeitszimmer einrichtete, musste sie in der Regel morgens ein Mal nach unten und abends ein Mal wieder nach oben. Und sie beteuerte eifrig, dass das kein Problem darstellte.
Die langgestreckte Wiese hinter dem Haus war umschlossen von einer hohen Hecke und Chris sah sich plötzlich in einer Hängematte unter dem ausladenden Walnussbaum im hinteren Teil schaukeln und den Blumen beim Wachsen zusehen. Bisher hatte er sich nie sonderliche Gedanken über seine diversen Behausungen gemacht. Er richtete sich ein und fühlte sich mehr oder weniger wohl. Jetzt aber, als er auf der kleinen Terrasse hinter dem Haus stand, dann nach vorn zur Einfahrt ging und wieder die Vorderfront betrachtete, kam ein Gefühl in ihm auf, mit dem er nicht gerechnet hatte. Er legte die Hand auf das kühle Gemäuer, fuhr mit dem Finger über eine knorrige Efeuranke und dachte mit einem Mal, dass er dieses Haus lieben könnte.
Er wechselte einen Blick mit Karin. Die Kiesel glänzten wie selten. Danach war die Sache schnell perfekt. „Ich habe zehn Bewerber“, sagte die Tochter. „Aber da Sie von Theo kommen …“
Chris fragte nicht lange nach, woher sie Theo kannte, sondern handelte die Miete noch etwas herunter, und die Tochter sicherte zu, dass sie in zwei Tagen den Vertrag erhalten würden.
Im Auto blieben sie noch eine Weile sitzen und starrten auf den Erker und den Gartenzwerg.
„Weißt du, was wir gerade getan haben?“ In der Stimme von Chris lag Fassungslosigkeit.
„Ein Haus gemietet!“ Karin klang beeindruckt. „Dieses Haus.“
„Und es ist bezahlbar.“
„Es hat genug Zimmer.“
„Wir könnten Blumen pflanzen.“
„Kräuter.“
„Gemüse?“ Chris sah sich plötzlich schwitzend zwischen Kohlköpfen herumkrabbeln und Unkraut jäten. Er war nicht sicher, ob das unbedingt sein Lebenstraum war. „Und was ist dein Lebenstraum, Sprenger?“,
Weitere Kostenlose Bücher