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Mantelkinder

Mantelkinder

Titel: Mantelkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Geller
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gestört wurde.
    „Kommt mit!“ Karin ging in östlicher Richtung am Ufer entlang, folgte der scharfen Biegung, die der Fluss machte.
    „Was seht ihr jetzt?“
    „Immer noch Wasser, Häuser, Natur“, gab Susanne ein wenig gepresst zurück.
    „Und? Was noch?“
    „Die Rodenkirchener Brücke“, bemerkte Chris.
    Das graugrüne Stahlungeheuer wirkte trotz der Entfernung fast bedrohlich. Sie hörten das Rauschen der Autobahn, die darüber führte, das Klappern der Metallplatten an den Brückenenden, wenn ein LKW darüber fuhr.
    Kommentarlos machte Karin kehrt und ging auf die westliche Seite der Landzunge.
    „Und?“
    „Das Klärwerk“, antwortete Chris. Er hatte zwar immer noch keinen blassen Schimmer, wo das hinführen sollte, aber ihm war klar, worauf Karin ihr Augenmerk legte. Hier störten hohe Betontrichter, schmutziges Grau und Brachland die Harmonie.
    „Gut!“ Karin nickte zustimmend. „Wir fahren zurück zum Karlscheurer Weiher.“
    Die Leute der Spurensicherung waren abgezogen, und die Hundertschaft, die das Gelände durchstreift hatte, stieg gerade in ihren Bus. In der schnell einsetzenden Dämmerung konnten sie nicht mehr viel ausrichten. Morgen würden sie weitermachen, einen größeren Bogen schlagen und die Kleingartenanlagen in der Nähe absuchen.
    Karin blieb am nördlichsten Punkt der Uferseite stehen und sah Susanne auffordernd an.
    „Wasser, Insel, die Straße dahinter.“
    „Kluges Kind!“ Karin grinste und humpelte in südliche Richtung.
    Chris sah an ihrem Gang, dass sie müde war, wahrscheinlich Schmerzen hatte.
    „Wasser, Insel, die Baracke des Bootsverleihs“, sagte Susanne unaufgefordert, als sie auf der anderen Seite waren.
    Wortlos ging Karin zur Mitte der beiden Punkte, zum Tatort.
    „Wasser, Insel, ein Schwanennest“, bemerkte die Polizistin und stutzte plötzlich. „He, Moment mal!“
    Auch Chris hielt die Luft an. Von hier aus waren weder die Straße, noch die Holzbaracke mit der teilweise abgeblätterten roten Farbe zu sehen. Es gab nichts, was das Auge störte.
    Eine ganze Weile standen die drei schweigend vor der Insel, ehe Karin leise fragte: „Chris, weißt du noch, was ich zu dir im Gremberger Wäldchen gesagt habe?“
    „Ein Scheißplatz zum Sterben“, gab er ebenso leise zurück. Er erinnerte sich lebhaft an die vorbeidonnernden Züge, das Vibrieren unter den Füßen, das beständige Rauschen der Autobahn.
    „Genau! Und wenn wir jetzt mal davon absehen, dass es für kleine Kinder überhaupt keinen guten Platz zum Sterben geben kann — was haben wir dann hier? Und nur hier! Nicht dreißig Meter rauf oder runter. Und was haben wir am Weisser Bogen? Auch genau am Tatort?“
    Susanne biss auf ihren Lippen herum. „Eine wunderschöne Stelle“, sagte sie dumpf.
    Aber Karin schüttelte den Kopf. „Nein Susanne! Die einzige schöne Stelle in der näheren Umgebung. Ich bin davon überzeugt, du kannst um den ganzen See herumgehen und wirst immer entweder die Straße oder die Baracke sehen. Wie am Weisser Bogen. Der Baum, an dem Annika angebunden war, ist der einzige Platz, von dem aus man weder die Brücke, noch das Klärwerk sieht.“
    Susanne setzte sich augenblicklich in Marsch. In typischer Polizistenmanier musste sie sich von der Richtigkeit dieser Behauptung selbst überzeugen.
    Chris sah ihr nach, bis sie hinter der Insel verschwand. Er war sicher, dass sie Karins Vermutung bestätigen würde. Aber wohin führte das? Was bedeutete es?
    Er nahm Karin in den Arm und beobachtete die rechte Seite des Weihers, wo Susanne jeden Augenblick wieder auftauchen musste. Mehr als fünfzehn Minuten sollte sie kaum brauchen, um diese „Pfütze“ zu umrunden.
    „Wieso ist das niemandem aufgefallen?“, fragte er schließlich.
    „Weil jeder anders guckt“, behauptete Karin. „Es konnte nur jemandem auffallen, dessen Job es ist, eine Perspektive zu finden, wo nichts das Hauptobjekt stört. Genauso, wie dir bei allem und jedem der entsprechende Paragraph durch den Kopf geht, sehen wir Fotografen die Welt als Foto. Als Momentaufnahme sozusagen, mal gut, mal weniger gut durchkomponiert.“
    Es war beinahe völlig dunkel, als Susanne wieder zu ihnen trat. Sie war etwas außer Atem, Gesicht und Nase waren von der Kälte gerötet.
    „Du hast Recht!“, verkündete sie und hauchte in ihre blau angelaufenen Hände. Dann kratzte sie sich nachdenklich das Kinn. „Die Frage ist, was wir damit anfangen können. Vielleicht ist das nur Zufall.“
    Sie sah die beiden der Reihe

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