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Mantelkinder

Mantelkinder

Titel: Mantelkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Geller
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der nüchterne Obduktionsbefund, in dem jedes zweite Wort „vermutlich“ hieß.
    Schließlich nahm sie ein Handtuch und rubbelte sich das Haar trocken. Den nassen Pullover zog sie aus und warf ihn achtlos über den Rand der Badewanne. Angewidert betrachtete sie dabei den hässlich dunklen Riss, der am Boden der Wanne durch das Emaille lief.
    Im Schlafzimmer roch es muffig, und noch ehe sie sich das rotgepunktete Pyjamaoberteil überstreifte, riss sie das Fenster weit auf. Der kalte scharfe Luftzug ließ sie erschauern … Ballmann … Claudia … Nein! Das hatte vorbei zu sein, war Schnee von gestern. Jetzt ging es nur noch um Annikas Mörder. Und da brachte sie Ballmanns Geständnis nicht weiter. Das hatte auch Hellwein inzwischen eingesehen. Sie konnten davon ausgehen, dass Ballmann mit niemandem über die Kerze gesprochen hatte. Aus einem einfachen Grund: Seine Mutter war tot, seine Schwester in Amerika und Freunde hatte er angeblich keine. Letzteres deckte sich mit dem wenigen, was Schneider und seine Gruppe am Nachmittag recherchieren konnten.
    Susanne rieb sich die müden Augen und holte ein Bier aus dem Kühlschrank. Es war die vorletzte Dose. Sie inspizierte den Kühlschrank nach Essbarem, fand ein Stück angetrockneten Cheddar und kuschelte sich mit Bier und Käse in Peters ehemaligen Lieblingssessel.
    Sie musste sich unbedingt ein wenig Zeit nehmen, um einzukaufen, die Wohnung zu saugen und Kontoauszüge zu ziehen. Die Ermittlungen würden sich sowieso hinziehen. Da kam es auf ein paar Stunden auch nicht mehr an.
    Oder doch?
    Mit einem Mal wurde sie sich ihrer Angst bewusst. Zwei Kinder im Abstand von zwei Wochen! Würden es in vier Wochen drei Kinder sein? Es gab keinen rationalen Grund, das anzunehmen, aber sie hatte plötzlich ein flaues Gefühl im Magen. Oder lag es einfach daran, dass sie schon wieder den Tod eines Kindes aufzuklären hatte? Der Anblick von Annika war ihr nicht so nahe gegangen, wie der von Claudia. Sie war ja bis zum Hals zugedeckt gewesen und hatte sehr friedlich ausgesehen. Trotzdem war da sofort wieder ihre Wut gewesen. Wut über den sinnlosen Tod eines Kindes, das das Wort „Leben“ noch nicht einmal buchstabieren konnte.
    Sinnlos — das war der springende Punkt! Susanne richtete sich kerzengerade auf. Es war makaber, aber gerade weil kein Missbrauch stattgefunden hatte, wurde der Tötungsakt überflüssig. Wo also lag das Motiv? Warum gab es diese klaren Hinweise auf ein anderes Verbrechen?
    „Wer bist du?“, flüsterte Susanne in die Dunkelheit. „Was willst du uns mit all dem sagen?“

Mittwoch, 21. November
     
    Susanne war für ihre Verhältnisse ausgesprochen mitteilsam und fütterte Chris täglich am Telefon mit dem Fortgang der Ermittlungen. So konnte er eine klar gegliederte Liste anlegen. Auf der einen Seite stand Claudia, auf der anderen Annika. Alle ihm bekannten Parallelen und Unterschiede trug er dort ein. Die Polizei führte wahrscheinlich eine ganz ähnliche Liste, aber er fand, dass es nicht schaden konnte, seine eigene zu haben. Was ihm aber auch nicht weiterhalf, denn bisher bestanden seine Aufzeichnungen nur aus jeder Menge Fakten, die nicht zueinander zu passen schienen.
    Trotzdem wollte er seine Notizen noch einmal durchgehen, vielleicht hatte er ja etwas übersehen. Er kramte die losen Blätter gerade hervor, als das Telefon klingelte. Es war Achim, der stolz verkündete, dass er das Objektiv angekauft hatte. „Super gut in Schuss, sag ich dir. Und für zweihundert Euro echt billig. Dein Weihnachten ist also gerettet.“
    „Oh … schön … ja“, antwortete Chris nicht gerade euphorisch.
    Sekundenlang war nur das leise Knistern der Telefonleitung zu hören.
    „Äh … alles in Ordnung?“, fragte Achim dann.
    „Sicher“, sagte Chris schnell. „Ich komm mal und hole es ab.“
    Als er auflegte, krampfte sich sein Magen zusammen. Weihnachten … Karin … Er hatte keine Ahnung, ob es ein Weihnachten mit Karin geben würde.
    Entschlossen verdrängte er sie aus seinen Gedanken und nahm sich beinahe trotzig die Aufzeichnungen über Claudia und Annika vor. In diesem Augenblick gestand er sich endlich seine Unzufriedenheit ein. Es passte ihm nicht, einfach zum Empfänger von Informationen degradiert zu sein und ansonsten die Hände in den Schoß zu legen. Das war nicht sein Ding. Aber was hätte er tun sollen? Annikas Mutter auf die Bude rücken? Sicher, er hatte Tinni auf den neuesten Stand gebracht, aber eigentlich nur der Form halber. Wie sollte

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