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Mantramänner

Mantramänner

Titel: Mantramänner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Hagedorn
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meinst tabu?«
    »Tamas! Voll mit dunkler, träger Energie.«
    »Ist ja auch für abends. Nach dem Retreat. Da darf man ja auch dunkel und träge sein, oder?«
    »Ich glaube«, sagte Melli würdevoll, »ich muss dir noch einiges erklären.«
    Plötzlich quakte hinter mir etwas los. Ich fuhr herum. Schon wieder ein Buddha in der Nähe, den ich bisher übersehen hatte?
    »Liebchen!«
    Netter Kinderkosename, schneidender Ton. Sah Buddha beides nicht ähnlich. Der war’s wohl nicht. Dann entdeckte ich das Mobilteil meines Festnetztelefons hinter mir auf dem Tisch.
    Meine Mutter hörte immer noch mit. Hastig griff ich danach. Zwei Telefone auf einmal, und warum auch nicht? Schließlich hatte ich ja auch zwei Ohren.
    »Ja, Mama?«
    »Hast du eben was von Retreat gesagt?«
    Ihre Stimme war hoffnungsvoll. Ungefähr so, wie andere ältere Frauen klangen, wenn ihre Töchter zum ersten Mal freiwillig über Enkel sprachen.
    »Ja«, antwortete ich. »Aber frag mich nicht, was das eigentlich ist.«

DHANURASANA
    Der Bogen (Dhanurasana) ist eine Stellung der Erhabenheit, die den menschlichen Geist mit einem feierlichen Leuchten erfüllt.

    In der ersten Stunde auf der Autobahn fühlte sich alles ganz normal an. Bis zum ersten Beschleunigungsstreifen waren die Gummibärchen aufgegessen, bis zum ersten Parkplatz mit WC sämtliche abwesenden Männer durchgehechelt, und bis zum dritten Autobahnkreuz hatten wir vier Pinkelpausen eingelegt.
    Der Punkt mit den Männern war diesmal auffällig kurz ausgefallen. Bei Anna gab es nichts Neues, bei Melli schon gleich gar nicht, und ich hatte mein jüngstes Debakel ausführlich genug dargelegt. Nadine machte nicht mit, weil sie dann ihren konstanten Funkverkehr hätte unterbrechen müssen. Ihr Handy fiepte aufgeregt wie ein Meerschweinchen beim Anblick einer Königskobra, anscheinend mussten sie und ein gewisser Scotty bestimmte Aspekte ihrer jüngsten Beziehung noch einmal in Schriftform aufarbeiten.
    Ich nahm an, dass es sich nicht um seelisch-geistige Aspekte handelte. Jedenfalls weigerte sie sich, die SMS vorzulesen.
    »Du weißt aber schon, dass im Ashram Handyverbot ist«, bemerkte Melli irgendwann spitz, und Nadine kicherte, »ja, Sweetie, ich weiß, deshalb muss ich ja auch vorarbeiten.«
    Mein eigenes Handy tat mir leid, mit seiner leeren Eingangsbox. Wie machte Nadine das bloß? Woher nahm sie ihre Leichtigkeit? Ihr wäre so etwas wie mir mit Chris nie passiert. Vielleicht war ich auch einfach nicht geschaffen für ein Leben mit moderner Kommunikationstechnik.
Die machte das Warten ja auch schier unmöglich. Ich versuchte, mir Chris und mich in einem Fünfzigerjahre-Film vorzustellen. Ich mit neckisch geblümter Schürze, er mit Pomade im Haar. Wir wären verlobt, und Chris würde mich samstags in seinem Isetta Kabinenroller abholen und zum Tanztee im Stadtparkpavillon oder in die Milchbar einladen. Danach Händchenhalten im Kino, bei der Spätvorstellung von »Schwarzwaldmädel«. Oh, Sünde.
    »Wie hast du bloß dieses Yogawochenende in der Heide überlebt, von dem du auf Mellis Geburtstag erzählt hast?«, fragte ich Nadine. »Oder durfte man dort sein Telefon mitnehmen?«
    »Och, da ging es nicht so streng zu wie in diesem Ding, wo wir jetzt hinfahren. Das war eher Wellness, mit Loungemusik und Vitamincocktails. Ich glaube, dagegen ist Werderhorst das reinste Kloster.«
    Vielleicht lag es an dem Wort Kloster, vielleicht an dem Wort Verbot, aber auf jeden Fall begann die Atmosphäre im Auto danach, sich langsam, aber stetig zu verändern. Wahrscheinlich lag es an meiner yogisch gesteigerten Sensibilität, aber irgendetwas passierte mit der Energie. Und das war nichts Gutes. Im Gegenteil: Die Luft im Auto schmeckte auf einmal ziemlich ta-, na, dingenskirchen, wie hatte Melli das genannt? Genau: tamas.
    Melli tat mir ein bisschen leid. Schließlich war sie es gewesen, die uns alle miteinander überredet hatte. Sie gab sich jedenfalls große Mühe, das genervte Schweigen zu durchbrechen. Eine Hand hatte sie lässig aufs Steuer gelegt, fummelte an ihrer Sonnenbrille herum und pfiff mit, während der Radiosender das Beste der Achtziger-, Neunziger- und Nullerjahre spielte. Dennoch wurden Nadine, Anna und ich von Parkplatz zu Parkplatz schweigsamer.
    Ich musste an die Fahrt ins Ferienlager denken, vor mehr als zwanzig Jahren. Da waren es Melli und ich gewesen, die Angst gehabt hatten. Die anderen Drittklässler, die im Jahr davor dran gewesen waren, hatten eine Menge Schauergeschichten

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